Interview - Röttgen (CDU): AfD hat keinen automatischen Anspruch auf Ämter
Der neu gewählte Bundestag kommt am Dienstag in Berlin erstmals zusammen. Norbert Röttgen (CDU) warnt davor, Vertreter der AfD ins parlamentarische Kontrollgremium zu wählen.
Genau eine Woche nachdem der alte Bundestag den Weg frei gemacht hat für eine finanzpolitisch schwerwiegende Änderung des Grundgesetzes, tagt am Dienstag zum ersten Mal das Parlament in seiner neuen Zusammensetzung: Die Unionsfraktion ist größer, die von SPD und Grünen jeweils kleiner, die FDP ist gar nicht mehr dabei - und die AfD ist jetzt zweitstärkste Fraktion.
Röttgen: Kritik an Sondervermögen "das typische Geschrei"
Für den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen ist es die neunte Legislatur – seit 30 Jahren ist er bereits im Bundestag. Deswegen bleibt er auch entspannt bei Kritik, weil das wichtige Finanzpaket noch schnell per Sondersitzung vom alten Parlament durchgeboxt wurde: "Es gibt nie eine zeitliche Lücke demokratischer Legitimation. Und darum ist das das typische Geschrei, was es auch immer gibt. […] Das berührt mich dann nach langer langer Zeit nicht mehr so sehr."
Dass AfD und Linke sehr viel stärker vertreten sind, wird – vor allem im Fall der AfD – einiges verändern, glaubt Röttgen: Die AfD versuche, "das Vertrauen der Bürgerinnen in die demokratischen Institutionen zu untergraben, den Staat lächerlich zu machen, vorzuführen. Und das wird jetzt einfach mit der doppelten Redezeit, manchmal damit auch mit der doppelten Lautstärke und Intensität vorgetragen werden – und darum nehme ich das auch als ein Phänomen sehr ernst."
Russischer Geheimdienst durch die AfD im Kontrollgremium?
Die AfD sei demokratisch ins Parlament gewählt worden und nun die stärkste Oppositionsfraktion, so Röttgen: "Das ist zu respektieren." Allerdings habe die AfD keinen automatischen Anspruch auf Ämter, wie das des Bundestagsvizepräsidenten: "Dafür braucht es ja eine Mehrheit, das ist kein Recht, weil man da ist."
Auch einen Platz im parlamentarischen Kontrollgremium möchte die AfD, das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist. "Da muss die Mehrheit des Parlaments wissen, ob sie das will", so der CDU-Politiker, "ob sie will, dass über die AfD der russische Geheimdienst praktisch präsent im Kontrollgremium der deutschen Geheimdienste sein soll."
Röttgen kritisiert Festnahme von İmamoğlu in der Türkei
Im weiteren Verlauf des Gesprächs hat Röttgen die Absetzung und Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu deutlich kritisiert. Es handele sich um die bislang "schwerwiegendste Abkehr von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit", die es in der Türkei je gegeben habe. İmamoğlu sitze im Gefängnis, weil er für das Präsidentschaftsamt kandidieren wolle.
Röttgen betont aber auch, dass die Türkei ein wichtiger Partner bei Migration und Verteidigung sei. Die kommende Bundesregierung müsse Druck auf Staatschef Recep Tayyip Erdoğan ausüben: "Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, dass die Türkei und Präsident Erdoğan zu den Grundprinzipien von Demokratie und Rechtsstaat zurückkehrt. Wir haben intensive wirtschaftliche Beziehungen, die auch für die Türkei ganz wichtig sind."
Röttgen sagt weiter, dass die Gespräche vor allem hinter den Kulissen geführt werden: "Es muss nachdrücklich geschehen, aber die Nachdrücklichkeit ist nicht mit Öffentlichkeit zu verwechseln. Erdoğan muss diesen Weg beenden und zurückkehren."