Polizisten gehen gegen Demonstrierende in Istanbul vor.
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Interview - Experte: Erdoğan ist nicht immun gegen die Macht der Straße

Seit der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu gibt es Massenproteste in der Türkei. Experte Yaşar Aydın sagt, so könnte Präsiden Erdoğan zu Zugeständnissen gezwungen werden.

Schon den fünften Tag in Folge sind am Sonntag Hunderttausende Menschen in der ganzen Türkei gegen die Verhaftung des Oppositionspolitikers Ekrem İmamoğlu auf die Straße gegangen. Obwohl bereits über 1000 Demonstrierende festgenommen wurden, wollen die Menschen weitermachen.

"Das zeigt, dass große Teile der Bevölkerung sich Sorgen über die Zukunft des Landes machen, über die Abschaffung der Demokratie", sagt Yaşar Aydın, Türkei-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. İmamoğlu gilt als wichtigster Rivale von Staatschef Erdoğan. Die sozialdemokratische Partei CHP hat ihn zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gewählt.

"Erdoğan wird versuchen, sein Ding durchzuziehen. Das hat er bisher immer gemacht. Er hat nicht viel Respekt für solche Begehren der Straße." Dennoch betont Aydın, dass auch der türkische Präsident trotz seiner Machtfülle nicht immun sei gegen die Macht der Straße.

Aydın: Instabilität hat hohen wirtschaftlichen Preis

 

"Wenn auf den Straßen ein Druck entsteht, ein Widerstand sich formiert, der die Opposition vereint, dann kann es auch sein, dass auch Erdoğan zu Zugeständnissen oder zu Rückziehern sich veranlasst fühlt." Dazu könne zählen, dass er die Repressalien gegenüber oppositionellen Gemeinden - etwa Istanbul - unterlässt. Schließlich habe die entstandene Instabilität einen hohen wirtschaftlichen Preis, so der Experte.

Die Macht der Opposition unterschätze der türkische Staatschef nicht. Stattdessen sehe er, dass eine Machterosion stattfinde. Deshalb habe er losschlagen wollen, bevor es zu spät ist. "Er denkt auch, dass die internationale Lage für ihn günstig ist", so Aydın. Erdoğans Kalkül sei es gewesen, dass Europa nicht in der Lage sein werde, scharfe Kritik zu üben - "weil Europa in Sicherheitsfragen die Türkei braucht, um Russland abzuschrecken". Dabei sei er auch ermutigt worden durch den Amtsantritt von Donald Trump in den USA.