Interview - Historiker: US-Wahlkampfrennen ist jetzt wieder offener
Am Sonntagabend hat US-Präsident Joe Biden bekanntgegeben, dass er sich als demokratischer Kandidat zurückzieht. Wer ihm nachfolgt, ist noch unklar - vieles spricht für Vizepräsidentin Kamala Harris. Einen so späten Rückzug eines Präsidentschaftskandidaten habe es noch nie gegeben, sagt Historiker Andreas Etges.
"Es gab zwei Präsidenten, die nicht wieder angetreten sind: Harry Truman und Lyndon Johnson", erklärt der USA-Experte Andreas Etges, Geschichtswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Aber so spät und quasi der, der schon alle Stimmen eingesammelt hat - das gab es tatsächlich noch nie." Das stürze die Demokraten "auch ein bisschen in eine Bredouille, wie es jetzt genau weitergehen soll", so Etges.
Wenn Vizepräsidentin Kamala Harris nun Kandidatin werden würde, habe das auch einen symbolischen Aspekt. "Sie wäre die erste Frau in diesem Amt", sagt der Historiker. Doch Harris habe ein Problem. Sie habe bisher die Politik des Präsidenten mitmachen müssen und dürfe ihn auch jetzt nicht komplett kritisieren, müsse aber gleichzeitig zeigen, was sie anders machen würde. "Es ist durchaus ein gewisses Dilemma für jemanden, der eigentlich die nächsten Monate noch loyal hinter dem Präsidenten stehen muss", so Etges.
Etges: "Die Dynamik ist enorm spannend"
Es komme nun auf den Parteitag der Demokraten im August an, der die Präsidentschaftskandidatur offiziell festlege. Denn Biden sei bisher nur designierter Kandidat gewesen. "Es kann sein, dass es quasi ein Durchmarsch für Harris wird und sie nur noch inthronisiert wird", sagt der USA-Experte. "Es gibt aber auch durchaus Leute in der demokratischen Partei, die sagen, es wäre auch für Harris besser, wenn sie sich einem parteiinternen Wettkampf stellen würde."
Die Dynamik sei enorm spannend, meint Etges. "Ich glaube, die Sorgen im Trump-Lager wachsen ein bisschen. Man war doch sehr siegessicher - das hat man auch beim eigenen Parteitag gesehen." Das habe sich jetzt geändert, denn durch Bidens Rückzug seien die Chancen gestiegen, dass die Demokraten nun mehr Wähler mobilisieren können. Der Wahlkampf sei eindeutig wieder offener geworden.