ARCHIV - Ein Arbeiter befestigt am 07.07.2010 eine Styroporplatte zur Wärmedämmung an einer Hausfassade in Straubing (Niederbayern). Foto: dpa
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- Energetische Sanierung als Vorwand für höhere Mieten

Heute kriegen wir die Zahlen auf den Tisch: der neue Mietspiegel wird vorgestellt. Klar ist schon jetzt: die Mieten in Berlin sind wieder kräftig gestiegen. Das hat die Politik längst erkannt – und bereits viele Instrumente geschaffen: das Zweckentfremdungsverbot, das Mietenbündnis – und ab 1. Juni dann auch die Mietpreisbremse. Aber: keines dieser Instrumente verhindert Mietsteigerungen von über 60% - wie Julia Camerer erfahren hat.

30 aufgeregte Menschen haben sich auf der Straße vor ihrer Wohnsiedlung in Schmargendorf versammelt. Sie sind zwischen 40 und 95 Jahren alt – viele wohnen seit Jahrzehnten hier und sie teilen alle eine Sorge: in Zukunft ihre Miete nicht mehr zahlen zu können:

"Also 183 EUR finde ich zu hoch. Viel zu hoch. Das kann man dann nicht mehr abfangen mit ner kleinen Rente, da muss man dann schon zum Wohngeldamt gehen. - Das bedeutet für mich 180 EUR mehr … das ist immerhin 66% meiner bisherigen Miete mehr. - Das ist ein problem. Weil die mieterhöhung ist so hoch, dass ich das nicht mehr bezahlen kann, und dann ausziehen müsste."

Ab Mitte Juli soll es in der Siedlung aus den 30er Jahren losgehen: Dach, Fassade und Keller sollen gedämmt werden. Dazu kommen neue Fenster, neue Bäder, und eine Gegensprechanlage. Die Investition des Vermieters – der Gagfah – beläuft sich auf über 5 Millionen Euro. Geld – das sich die Gagfah letztlich von den Mietern zurückholt, über die sogenannte Modernisierungs-Umlage. Die monatliche Miete steigt nach der Sanierung bei allen um über 3 Euro pro Quadratmeter. So kommt es zu Miet-Steigerungen von teils mehr als 60 Prozent – und alles ist rechtens – wie Birgit Roßow erfahren hat:

"Die Gagfah verhält sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. Und wir können juristisch gar nichts auslösen. Das ist von der Politik gewünscht, die energetischen Maßnahmen. Von daher können wir gar nichts dagegen ausrichten. Die SPD sagt, bezahlbarer Wohnraum soll geschaffen werden, und hier wird auf lange Sicht bezahlbarer Wohnraum zerstört."

Energetische Sanierung - der Fehler im System

Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel will dazu nichts sagen.

Das Bundesjustizministerium, das das Mietrecht längst ändern wollte – wie im Koalitionsvertrag 2013 ausgehandelt – habe derzeit nichts zu verkünden, so ein Sprecher. Und auch die Gagfah selbst habe keine Zeit für ein Interview.

Die Modernisierungsumlage ist seit Jahren ein politischer Missstand. Selbst die neue Mietpreisbremse wird hier nichts bremsen. Angenommen die jetzigen Bewohner ziehen aus – so könnten die hohen Mieten genauso bei ihren Nachfolgern erzielt werden. Denn energetische Sanierung ist explizit ausgenommen von der Mietpreisbremse. Das könnte ein Fehler im System sein – warnt Rainer Wild vom Berliner Mieterverein:

"Die Frage ist ja, ob mit der Mietpreisbremse zukünftig auf die Mietpreisbremse setzen und damit zukünftig das Mietenniveau weiter nach oben getrieben wird."

Eher im Vordergrund: die höhere Miete

Nach einer Studie gehe es in den meisten Fällen weniger um Sanierung als um die Möglichkeit, die Mieten ungebremst in die Höhe zu treiben. Denn auch nachdem gedämmt ist, wird weitaus weniger Energie eingespart als prognostiziert. Genau das befürchten auch die Mieter der Schmargendorfer Siedlung: Nach Abschluss der Arbeiten sollen sie nicht mal 20 EUR im Monat an Heizkosten einsparen.

"Man ist ohnmächtig. … Man kann als Mieter schon wütend werden, weil: Der Vermieter kann durchaus beantragen, wegen Unwirtschaftlichkeit auf die Fassadendämmung zu verzichten. Aber wir als Mieter können nicht beantragen, dass das unwirtschaftlich ist, und dass das vom Tisch kommt."

Julia Camerer

Blick auf einen terrassenförmig zurückgebauten Wohnblock im Gebiet "Ahrensfelder Terrassen" in Berlin-Marzahn (Bild: dpa)
ZB

Übersicht - Neuer Mietspiegel für Berlin

Der Senat hat am Montag den neuen Berliner Mietspiegel vorgestellt. Trotz zunehmender Klagen über steigende Mieten in der Hauptstadt wird die durchschnittliche Nettokaltmiete nur moderat steigen, sie klettert um 30 Cent.  Allerdings stellt sich nach einem Gerichtsurteil die Frage, welchen Wert das umfangreiche Zahlenwerk überhaupt hat.