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Rund 300.000 Menschen pendeln jeden Tag aus Brandenburg zur Arbeit nach Berlin oder umgekehrt. Ein gewaltiger Verkehrsstrom, der gelenkt und geleitet werden muss. Ihre Ideen und Pläne dazu stellt Brandenburgs Verkehrsministerin am Donnerstag mit dem Landesnahverkehrsplan in Potsdam vor. Ob die Landesregierung die richtigen Schwerpunkte beim Nahverkehr setzt und ob wir in 50 Jahren immer noch dermaßen viel Lebenszeit unterwegs verbrigen, damit beschäftigt sich Michael Ortgiese, Professor für Verkehrswesen an der FH Potsdam. Dominik Lenz hat mit ihm gesprochen.
Ein Auto hat er noch - aber nur als Familien-Vehikel. Für den täglichen Weg zur Arbeit benutzt er das Fahrrad. Wenn er sich über Fehlplanungen der Verkehrspolitik ärgert, dann über mangelnde Information etwa bei Verspätungen.
Die Verkehrs-Infrastrukturentwicklung sei jetzt an einem Punkt das aufzuholen, was in den 80er und 90er Jahren versäumt wurde. "Zum Beispiel hat die Bahn bis Mitte der 80er so gut wie keine neuen Bahnhöfe mehr gebaut (...) und das danach sozusagen verlernt. Die Bahnhöfe Berlin-Südkreuz oder Kassel-Wilhelmshöhe waren die ersten größeren Bahnhöfe, die seit der Zeit zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg neu gebaut hat. Vorher war alles ganz stark auf den Individualverkehr ausgerichtet."
Die Landesregierung von Brandenburg setzt stark auf den "Siedlungsstern" - also eine Bebauung entlang der Schienenstränge von und nach Berlin. Eine sinnvolle Maßnahme? Für Ortgiese eine "ganz gute planerische Maxime, um eine hohe Effizienz für den Nahverkehr zu gewährleisten und gleichzeitig eine Flächenerschließung vom Land selber."
Man dürfe jedoch den Schienenverkehr nicht isoliert betrachten - dieser sei verknüpft mit den Busverkehren der jeweiligen Landkreise. Durch beides müsse "in der Summe ein vernünftiges Konzept entstehen".
Ortgiese befasst sich in seiner Arbeit sehr stark mit der Mobilität der Zukunft: e-Mobilität, Carsharing, Fahrrad-Schnellstraßen. Sind das Konzepte, von denen auch ländliche Gebiete etwas haben?
"Ich glaube schon", sagt Ortgiese, fügt aber hinzu, dass man die ländlichen Gebiete unterteilen müsse in mittelgroße Städte mit etwa 40.000 Einwohnern, die ihrerseits ein Pendlereinzugsgebiet aus dem ländlichen Raum haben. Entscheidend sei die richtige Kombination, die lokal-regional durchaus unterschiedlich ausfallen könne.
Mit Blick auf die Zukunft gerichtet mahnt Ortlieb die Brandenburgische Landesregierung: "Sie sollte nicht verschlafen, dass sich gerade das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung ändert. Wir sehen hier aus anderen Ländern, beispielsweise aus Großbritannien oder Finnland, dass es dort eine Karte gibt, mit der ich ÖPNV, Carsharing oder Bikesharing-Angebote mit einer Art Mobilitäts-Flat nutzen kann. Die Bereitschaft, sich vom eigenen Fahrzeug abzuwenden, ist damit deutlich größer."
Hier werde ein neues Mobilitätsverständnis geschaffen, das einen Beitrag dazu leiste, dass wir uns in Zukunft anders verhalten.
Mit der Digitalisierung und Automatisierung gebe es weitere große Potenziale, unser System neu zu gestalten. Wichtig sei, dass "die Landesregierung jetzt Flagge zeigt, sich mit diesen neuen Technologien auseinanderzusetzen und diese in ihr Gesamtkonzept zu integrieren."
Dass das alles so lange dauert, sei zu einem guten Teil systembedingt. "Da können wir immer beschleunigen, aber wir werden uns für die einen oder anderen Sachen auch Zeit lassen. Wir müssen heute anfangen an den Lösungen für in zehn oder 15 Jahren zu arbeiten. Und da würde ich mir von der Landesregierung und den Städten mehr Agilität wünschen."
Das Gespräch führte Dominik Lenz