- Stimmungstest in der Flüchtlingskrise

Die Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt werden am Sonntag Auskunft über die Stimmung in Deutschland geben. Gibt es historische Schlappen für die etablierten Parteien, fährt die AfD zweistellige Ergebnisse ein, verändert sich die Republik? Die drei Landtagswahlen könnten eine Zäsur werden. Ein Überblick über die Ausgangslage  - und über mögliche Folgen.

Baden-Württemberg: Spannende Wahl im Ländle

Seit fünf Jahren regiert Winfried Kretschmann in Stuttgart - als erster grüner Regierungschef in einem Landtag. Am Sonntag wollen die Grünen den Chefsessel gegen die CDU mit dessen Herausforderer Guido Wolf verteidigen. Die Demoskopen sehen keine Wechselstimmung im Land, doch wer von den beiden Männern das Rennen macht und welche Parteien dann zusammen regieren, ist schwer absehbar. Nur eines scheint sicher: Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland dürfte es aus dem Stand in den Landtag schaffen, vielleicht sogar mit einem zweistelligen Ergebnis.

"Das ist doch fast eine Liebesheirat", schwärmte Kretschmann nach der Wahl 2011 mit Blick auf seine grün-rote Regierungskoalition. Der SPD wurde eine Partnerschaft auf Augenhöhe versprochen. Doch das Bündnis fand sich schnell in den Mühen der Ebene wieder. Vor allem die vielen Reformen in der Bildungspolitik, der dadurch teilweise ausgelöste Unmut bei Lehrern, Eltern und Schülern sowie eine überforderte Kultusministerin sorgten zeitweise für Krisenstimmung. Unterm Strich hat Grün-Rot den gemeinsamen Koalitionsvertrag aber weitgehend abgearbeitet. Das erklärte Ziel ist, zusammen weiterzuregieren.

Doch die zweite Amtszeit steht auf der Kippe. In der jüngsten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen lagen die Grünen zwar mit 32 Prozent zwei Punkte vor der CDU, der rote Koalitionspartner mit Vize-Regierungschef Nils Schmid hängt aber mit 13 Prozent im Keller. Die Sozialdemokraten klagen, dass die gemeinsamen Regierungserfolge vor allem den Grünen gutgeschrieben würden. Für die CDU wäre es ein historisches Wahldebakel, wenn die Grünen sie tatsächlich überholen sollten. Wolf strebt eigentlich Schwarz-Gelb an. Doch dafür gibt es derzeit keine Mehrheit.

Grund dafür ist das Flüchtlingsthema. Es überlagert alle anderen landespolitischen Themen und schob die AfD in Umfragen auf zuletzt 11 bis 13 Prozent. Als fünfte Kraft würde sie die Kräfteverhältnisse im derzeitigen Vier-Parteien-Parlament heftig durcheinanderwürfeln. Die CDU wird wahrscheinlich viele Stimmen vom rechten Rand an die AfD verlieren. Eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten hat sie aber ausgeschlossen. Damit dürfte eine schwierige Regierungsbildung auf das Land zukommen. Es könnte auf Dreierkonstellationen rauslaufen - etwa von CDU, SPD und FDP oder von Grünen, SPD und FDP. Theoretisch wäre auch ein Bündnis aus Grünen und CDU möglich - unter Führung der Grünen. Das wäre bundesweit ein Novum.

Alles offen: Kopf-an-Kopf-Rennen in Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz ist das Rennen zwischen SPD und CDU offen. Die Umfragen sehen die CDU von Landeschefin Julia Klöckner weiter vorn - doch der Abstand zur SPD mit Regierungschefin Malu Dreyer ist von etwa zwölf Prozentpunkten 2014 auf ein bis zwei Punkte geschrumpft. Die CDU kam zuletzt auf 35 bis 36 Prozent, die SPD auf 34 Prozent.

Das beflügelt beide Politikerinnen im ersten rein weiblichen Duell bundesweit. "Dass wir weiter eine rot-grüne Regierung im Land haben - dafür kämpfe ich", sagt Dreyer. Sie setzt auch in der Flüchtlingskrise auf Zusammenhalt, zudem auf gebührenfreie Bildung von Kita bis Hochschule. CDU-Landeschefin Klöckner kämpft dafür, die SPD nach 25 Jahren an der Macht abzulösen.  "Ich will nicht alles anders machen, aber ich will das Entscheidende besser machen" sagt sie. Das heißt: keine neuen Schulden, gestaffelte Kita-Gebühren sowie mehr Investitionen in Straßen und Brücken.  

Die Umfragewerte der Grünen sind auf zuletzt sechs Prozent gesunken. Man wolle dritte Kraft bleiben, gibt Spitzenkandidat Daniel Köbler vor. Weiter an der Macht zu bleiben, wird schwierig, wenn es nicht mehr für Rot-Grün reichen sollte. Rechnerisch mögliche Bündnisse mit CDU oder FDP stoßen auf große Bedenken an der Basis.

Größere Spielräume bieten sich möglicherweise für die FDP, die in den Umfragen zuletzt bei 5 bis 6 Prozent gesehen wurde. Ihr Wunschpartner ist die CDU. Um eine große Koalition zu verhindern, könnten die Liberalen mit Spitzenkandidat Volker Wissing auch Rot-Grün zur Ampel erweitern oder das Wunschbündnis Schwarz-Gelb mit den Grünen zur Jamaika-Koalition ergänzen.

Mit der AfD mag niemand koalieren. Die rechtsgerichtete Partei kann laut Umfragen auf bis zu 10 Prozent hoffen. Damit gäbe es im Landtag in Mainz erstmals seit 1971 wieder eine Partei rechts von der CDU. Schlecht sieht es für die Linke aus, die laut Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird.

Sachsen-Anhalt erwartet Rekord-Ergebnis für die AfD

In Sachsen-Anhalt sehen Umfragen die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) bei bis zu 19 Prozent der Stimmen - so hoch schnitt die Partei in ihrer jungen Geschichte noch nie ab. "Die AfD zieht aus allen Lagern Protestwähler an", sagt Politologe Everhard Holtmann von der Uni Halle. Nicht Bildung, Wirtschaft oder Finanzen, sondern die Asylpolitik des Bundes bewegt viele Wähler.

Nach der Landtagswahl 2011 musste die CDU noch weit auf die SPD zugehen, weil rechnerisch auch ein Bündnis von SPD und Linkspartei denkbar gewesen wäre. Doch nun sieht sie sich mit Konkurrenz am rechten Rand konfrontiert. Auch wenn keine der im Landtag vertretenen Parteien mit der AfD koalieren will, dürfte eine starke, oftmals als völkisch eingestufte Partei im Landtag gehörig Druck ausüben.

Dabei ist noch nicht einmal klar, ob es für Schwarz-Rot überhaupt wieder reicht. Die Umfragen sehen nur eine knappe Mehrheit. Denkbar wären auch Koalitionen wie Schwarz-Rot-Grün oder Schwarz-Rot-Gelb. Aber ob die kleinen Parteien den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, ist ebenfalls unsicher.

Erfahrungen mit Strömungen am rechten Rand hat Sachsen-Anhalt bereits. 1998 erreichte die rechtsextreme DVU überraschend 12,9 Prozent - so viel wie nie zuvor bei einer Landtagswahl in Deutschland. Doch die Partei zerstritt sich. Später fusionierte die DVU mit der NPD, die 2011 mit 4,6 Prozent der Stimmen scheiterte.

SPD und Linke können aus der Polarisierung der Flüchtlingsdebatte durch die AfD kaum Profit schlagen. Eine rot-rote Koalition unter SPD-Chefin Katrin Budde oder auch unter Linken-Spitzenkandidat Wulf Gallert scheint in weiter Ferne. Denn die jüngsten Umfragen sehen die CDU mit 31 bis 32 Prozent klar vorn. Die Linke kann mit 20 oder 21 Prozent Platz zwei halten. Und dann kommt schon die AfD mit 17 bis 19 Prozent, während die SPD von 21,5 Prozent vor fünf Jahren auf nur noch 15 Prozent abstürzt.

(Mit Material von dpa)

Zurück zur Übersichtsseite

"Super Sunday": AfD überall zweistellig, Grüne siegen in Ba-Wü

Die Grünen gewinnen Baden-Württemberg, die SPD Rheinland-Pfalz, die CDU Sachsen-Anhalt - und dennoch heißt der Sieger der drei Landtagswahlen AfD. Nach den ersten Hochrechnungen holte sie in Baden-Württemberg 15 Prozent, in Rheinland-Pfalz 12,4 und in Sachsen-Anhalt gar 24 Prozent. Inforadio berichtet in einer Sondersendung ausführlich über die Wahlen und hier können Sie sich über den "Super Sunday" informieren: Wir haben Hintergründe, Interviews und Links zusammengestellt.