Flüchtlinge Shabnam Shams, Ehemann Ramin Askeria und Baby Shayan im Hotel President in Berlin - Foto: A. Corves © 2015 rbb-inforadio

- Die Regeln

"Check in Berlin" - so heißt die Langzeitbeobachtung im Inforadio. Es geht um das ehemalige "Hotel President" an der Urania, mitten in der Berliner City West. Das Hotel ging pleite und wird jetzt vom Berliner Senat gemietet, um Flüchtlinge unterzubringen. Rund 400 Menschen sind bereits eingezogen, die meisten aus Syrien, Irak und Afghanistan. In dieser Woche hat Inforadio-Reporter Oliver Soos den Alltag im neuen Heim miterlebt.

Der Frühstücksraum ist ziemlich edel, typisch Vier-Sterne-Hotel: Große Leuchter an der Decke, der Raum wird durch verspiegelte Säulen aufgeteilt, an den Tischen stehen gepolsterte Stühle. Im Eingangsbereich begrüßt Janine Dornbusch die Flüchtlinge. Die 32-Jährige ist eigentlich Englisch-Lehrerin, hat lange in der Gastronomie gearbeitet. Jetzt ist sie eine von 15 Mitarbeiterinnnen der Firma Albatros, die das Flüchtlingsheim betreibt.

Josemin, ein kleines Mädchen, umarmt die Betreuerin, dann reiht sie sich ein in die Warteschlange an der Essensausgabe. Dort stehen schon knapp 20 Flüchtlinge. Schnell ist der Frühstücksraum voll und man merkt, dass er eigentlich zu klein ist.

Flüchtlinge helfen mit

Janine Dornbusch erzählt von einem weiteren Problem: Für die Essensausgabe benötigt man vier bis fünf Mitarbeiter. Die gab es nicht, bis die Flüchtlinge anfingen, mitzuhelfen: "Es war recht stressig und da kam einfach ein Mann aus der Gruppe mit dazu und fragte, wie er mir helfen kann. Ich habe ihm dann eine Aufgabe zugewiesen und jetzt gehört er zu unserem festen Helferteam. Und für die Zukunft, also jetzt für diese Woche vor allem, haben wir es jetzt so gestaltet, dass wir einen Plan erstellt haben und die Flüchtlinge versammelt haben - die die uns bis jetzt geholfen haben und die die helfen möchten."

Zwei syrische Männer tragen stapelweise saubere Teller aus der Küche und stellen sie an der Theke ab. Dort verteilen zwei afghanische Frauen das Frühstück. Eine von ihnen ist Nafisa Razai. Sie sagt: "Deutschland hilft uns, in dem es uns aufgenommen hat. Wir wollen Deutschland etwas zurückgeben. Hier mitzuhelfen ist das Mindeste, was wir tun können. Wir wollen uns revanchieren."

Die 33-Jährige ist mit ihrem Mann und ihren drei Kindern aus der afghanischen Stadt Herat geflohen. Dort gab es immer wieder Anschläge durch Taliban und IS-Kämpfer.

Nafisa Razai legt jedem Flüchtling Fladenbrot, Käsescheiben und Gurken auf den Teller. Für die ganz Kleinen gibt es Schüsseln mit Brei. Alles läuft entspannt ab, die meisten Flüchtlinge lächeln dankbar.

Streit ums Essen

Doch das ist nicht immer so. Erst am vergangenen Wochenende hat es gekracht, erzählt Janine Dornbusch: "Da hat sich einer der Flüchtlinge hier lautstark aufgeregt und ich musste erstmal einen Sprachmittler dazuholen, um zu verstehen, worum es überhaupt geht. Es gab dann einen großen Tumult hier, weil Araber der Meinung waren, dass den Afghanen mehr Essen gegeben wurde als Arabern. Das sind Themen, die vorkommen. Zunächst bin ich dann bei der Essensausgabe mit dabeigeblieben, um das zu kontrollieren. Der Herr, der sich da so sehr aufgeregt hat, dem habe ich dann noch ein bisschen mehr gegeben."

Auch das falsche Essen kann zu Missverständnissen und Frust führen, erzählt Janine Dornbusch. Dass Muslime kein Schweinefleisch essen, das ist weitläufig bekannt, doch dass Matjesfilet mit Sahnesoße ein Problem darstellen könnte, das hätte sie nicht gedacht: "Der Abend war für die Essensausgabe katastrophal kann man sagen. Wir hatten Kartoffeln und diesen eingelegten Fisch und haben das Essen ausgegeben. Leute haben das dann gekostet, haben es dann weggeschmissen, weil es ihnen nicht geschmeckt hat."

Einige Flüchtlinge haben sich dann von vorne angestellt und Kartoffeln ohne Fisch verlangt. Doch das haben die Mitarbeiter an der Essensausgabe zunächst nicht verstanden. Erst als ein Dolmetscher hinzukam, konnte der Streit beigelegt werden.

Der Frühstücksraum im Berliner Hotel President - Foto: rbb Inforadio/Oliver SoosDer Frühstücksraum im Hotel President

Es gelten Hausregeln

Janine Dornbusch berichtet: "Ja, was das Abendessen betrifft, haben wir es an den Caterer weitergeleitet, da vielleicht auch mal darauf zu achten, dass es nicht unbedingt so typisch traditionell deutsche Gerichte sind, die in den Regionen, wo die Flüchtlinge herkommen, überhaupt nicht bekannt sind, weil wir dadurch Probleme bekommen, hier bei der Essensausgabe."

Kleinere Streitigkeiten werden unkompliziert aus der Welt geschafft, wenn sich jemand ernsthaft daneben benimmt, dann gibt es Konsequenzen, sagt Friedrich Kiesinger, der Leiter des Heims.
 
Der 63-jährige ist in den Frühstücksraum gekommen, um organisatorische Fragen zu klären. Kiesinger ist Psychotherapeut und Neffe des ehemaligen Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger. Seit Jahrzehnten leitet er soziale Einrichtungen. Er strahlt Ruhe und Autorität aus. Er sagt: "Wir haben ganz knallharte Regeln. Erst einmal müssen die Leute, die hierherkommen lernen, dass in unserem System Frauen, Kinder, Behinderte und Alte zuerst kommen und Männer zum Schluss. Das ist schonmal ein großer Schock. Und wenn da das Essen auf den Boden geschmissen wird und ein Mensch sagt: Hier, Frau heb auf, dann wird er erleben, wie das bei uns läuft, dass er das nämlich selber aufhebt."

Jeder Flüchtling bekommt schon beim Check in die Hausregeln augehändigt. Es gab auch schon Hausverbote, sagt Friedrich Kiesinger. Zwei afghanische Männer stehen kurz davor. Der ältere, der Vater, hatte Streit mit seiner Schwiegertochter und hat sie geschlagen und an den Haaren gezogen. Der Sohn hat zum Vater gehalten, wollte sich von seiner Frau trennen und ihr die Kinder wegnehmen. 

Wer Kinder schlägt, muss die Einrichtung verlassen

Kiesinger sagt: "In Afghanistan wäre das so: die Frau würde verstoßen werden. Sie hat keinerlei Rechte. Sie hat Glück, wenn sie überhaupt noch leben darf anschließend. Und die Kinder gehören dem Mann. In Deutschland läuft das im Normalfall andersherum. Und wir haben dann ein Modell gemacht, dass die Frau jetzt erst einmal eine Nacht ohne die Kinder ganz alleine schlafen darf und morgen werden Mann und Frau mit den Kindern gemeinsam sein und der Vater muss in ein anderes Zimmer."

Vielleicht merkt die Familie, dass sie aufeinander angewiesen ist und der Streit kann beigelegt werden - so die Hoffnung. Kiesinger fühlt sich für die Familien verantwortlich und auch für die Erziehung der Kinder: "Wer seine Kinder schlägt, da wird einmal geredet. Wenn er das nochmal macht, dann muss er die Einrichtung verlassen. Wir wollen, dass die Leute klar haben: Sie kommen in unser Land und da gibt es ganz bestimmte Regeln."

Die Mitarbeiter mischen sich ein, sie gucken hin. Nach dem Frühstück will eine syrische Mutter mit drei kleinen Kindern in die Stadt. Stopp, stopp rufen zwei Mitarbeiterinnen: Der kleine Junge hat nur ein T-Shirt und eine Sommerjacke an, das Baby im Kinderwagen eine dünne Decke. Die Mitarbeiterinnen holen eine dicke Winterjacke und eine gefütterte Decke aus der Kleiderkammer, gut eingepackt darf die Familie loslaufen.

Die meisten anderen Familien gehen erst einmal auf ihre Zimmer. Gruppen von kleinen Jungs flitzen durch die Hotelflure und fahren mit den Fahrstühlen rauf und runter, für sie gibt es noch wenig Beschäftigung im ehemaligen Hotel President.


Übersicht

Rezeption im ehem. Hotel President, Berlin - Foto: A. Corves / rbb-Inforadio

Flüchtlinge im Hotel 'President'

Massenunterkünfte in Berlin sind für die Flüchtlinge Standard: mehrere Hundert leben zusammengepfercht auf engstem Raum. Konflikte sind da vorprogrammiert. Dass es auch anders gehen soll und kann, zeigt eine Unterkunft im ehemaligen "Hotel President" an der Urania in Berlin. Inforadio beobachtet das Projekt langfristig - wie leben die Flüchtlinge dort, wie werden sie integriert, gibt es trotz aller guter Absichten auch Streit?