S-Bahnlogo und Chaosgraffiti
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100 Sekunden Leben - Stillstand als Chaos

Das war ein Schock in der Abendstunde: Jetzt sind auch Teile des Berliner S-Bahn-Rings gesperrt, weil die marode Autobahnbrücke im Westend über der Ringbahn einzustürzen droht und gestützt werden muss. Und das nach einer Woche, in der schon die BVG streikbedingt stillstand. Unser Kolumnist Thomas Hollmann bekommt da Untergangsphantasien.

Wäre ich Roland Emmerich und würde einen neuen Weltuntergangsfilm drehen wollen, ich würde den in Berlin machen. So viele kaputte Brücken, wie es hier gibt. Und dazu noch Verdi. Die Gewerkschaft hat die BVG, den Flughafen und die Müllabfuhr lahmgelegt. Das muss ein Alien erstmal schaffen.

Gestern wurde dann auch noch die Bundesdruckerei bestreikt. Damit es sich auch lohnt und die Leute weder ihren Führerschein noch den neuen Reisepass bekommen und zuhause hocken bleiben, statt in den Urlaub oder über die suizidale Ringbahnbrücke zu fahren.

Was die Leute derzeit ja eh nicht dürfen. Und drunter her fahren mit der S-Bahn dürfen sie jetzt auch nicht mehr. Das hatte der Technik-Chef der Autobahn-GmbH schon am Mittwoch geahnt. Dass der Riss noch größer wird und die Brücke die S-Bahn mit sich reißt, in die Unbefahrbarkeit.

Dass die Verkehrssenatorin bei der Gelegenheit wissen ließ, dass es "in den Sternen geschrieben" stehe, wann die neue Brücke fertig wird, macht nun auch nicht gerade optimistisch.

Aber zurück zu unserem galaktischen Katastrophen-Regisseur. Der Titel für Roland Emmerichs Berlin-Apokalypse könnte lauten: "Der Riss – eine Stadt versinkt im Stillstand". Das ist ein völlig neues dramaturgisches Element: der Stillstand als Chaos. Sonst rennen in den Endzeit-Filmen immer alle durcheinander und vor irgendwas weg. Aber Berlin erstarrt einfach - und liegt da wie in Aspik. Geliert und willenlos. Um alsbald in einem großen Schwarzen Loch zu verschwinden. Alles wird da reingesaugt, alle Brücken und Gewerkschaften und Bundesdruckereien und Autos und S-Bahnen und Dönerspieße. - Und das wäre dann doch traurig, meine ich, wenn sich in Berlin nicht einmal mehr die Dönerspieße drehten.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.