Zugbegleiter am Hauptbahnhof Mannheim vor einem abfahrenden ICE (Bild: picture alliance/CHROMORANGE/Udo Herrmann)
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100 Sekunden Leben - Die Deutsche Bahn und ihr Psycho-Problem

Die Sommerferien starten und viele werden in den kommenden Tagen verreisen. Kolumnist Thomas Hollmann rät allerdings davon ab, den Zug zu nehmen. Denn die Deutsche Bahn ist auch ohne Fußball-EM ein Problemfall.

Ich hatte mir extra zwei Tage ausgeguckt, an denen keine Spiele waren. Hat nichts genutzt. Auf der Hinfahrt hatte ich zwei Stunden Verspätung, auf der Rückfahrt anderthalb. Die Deutsche Bahn erkennt da möglicherweise einen positiven Trend und drückt mir die Daumen, dass der Zug beim nächsten Mal nur eine Stunde zu spät ankommt.

Aber darauf möchte ich mich, ehrlich gesagt, nicht verlassen. Und unser Zugbegleiter auf der Rückfahrt wohl auch nicht. Drei Stunden Verspätung kämen schnell zusammen, erklärte er uns fachmännisch. Deshalb sage er den Fahrgästen immer: Es werden fünf. Dann freuten sich die Leute, wenn es nur viereinhalb werden. Lachte der Witzbold, sichtlich erfreut über seinen Psycho-Trick, und verschwand.

Immerhin wussten wir, warum unser ICE schildkrötengleich dahinschlich. "Eine Reparatur an der Weiche zwischen Hanau und Fulda verzögert den Bahnverkehr", hatte die App gemeldet. Eine Stunde später meldete sich der Chef dann des Witzbold-Zugbegleiters über die Lautsprecher-Anlage.

Er würde ja gerne sagen, wie es weitergehe, aber die Leitstelle rede nicht mit ihm. Sollte sich dies irgendwann mal ändern, werde er sich wieder melden. Bis dahin sage er nichts mehr. Ich glaube, wenn man für ein Unternehmen arbeitet, vom dem alle behaupten, es sei verrottet, ist das nicht gut für die eigene Verfassung. Da wird man bockig. Oder ein Psycho.

In Hanau standen wir dann ewig im Bahnhof rum, als plötzlich ein lauter, langer Pfiff ertönte. Und wenig später nochmal. In der offenen Tür stand der Zugbegleiter-Chef. Ich erkannte ihn an seiner Stimme. "Verdammte Scheiße!", rief der Mann und holte sein Handy raus. "Warum bist du noch draußen? Ich habe schon zweimal gepfiffen!", brüllte der Chef und winkte wild in Richtung Zugende. Die Antwort seines Witzbold-Kollegen konnte ich nicht hören. Aber ich vermute, er musste erstmal zu Ende rauchen.

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