Ein Mann mit kurzer Hose trägt Birkenstock-Sandalen (Bild: picture alliance / photothek | Ute Grabowsky)
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100 Sekunden Leben - Birkenstock - Die Jogginghose für den Fuß

Kolumnist Thomas Hollmann befürchtet, dass ihm die zivilisatorischen Benimmregeln immer mehr abhandenkommen. Und er selbst trägt auch dazu bei.

Dass ich immer fauler werde und mir deshalb morgens die Schuhe mitunter nicht mehr zubinde, hatte ich hier ja schon gebeichtet. Aber jetzt nimmt mein Hang zur Bequemlichkeit allmählich dramatische Züge an: Ich trage Birkenstock-Sandalen. Draußen wohlgemerkt, in aller Öffentlichkeit. Bislang hatte ich die nur drinnen an, als Hausschuhe. Und was drinnen passiert, bleibt drinnen, lautete bisher mein Geheimhaltungs-Credo.

Jetzt aber nicht mehr. Denn weil das Fußbett durch das ständige Stuben-Auf-und-Ab flachgelatscht war, musste ich mir ein neues Paar Birkenstock kaufen. Und mit den alten gehe ich jetzt einkaufen. Weil das so bequem ist. Deshalb war ich mit den Tretern letztens auch bei der Arbeit. Das hat dort niemanden gestört. Offensichtlich ist die pedeske Verwahrlosung in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Nicht, dass mich das wirklich verwundert. Zeigt Heidi Klum ihre nackten Zehen doch schon seit Jahren im deutschen Doppel-Riemer her. Wie auch andere Ex-und-noch-immer-Models untenrum auf die Breitmaul-Variante setzen. Es gibt Befreiungs-Ideologinnen, die sehen darin einen Akt der Emanzipation. Darf sich der Fuß in einer Arizona-Sandale doch in alle Richtungen ausbreiten und wird nicht von herrischen High Heels deformiert.

So gesehen wäre, wenn ich es mir recht überlege, auch die Jogginghose Teil der Befreiungsbekleidung. Wird bei der Jogginghose doch ebenfalls nichts eingeengt oder gar abgeschnürt. Dem Gummibund sei Dank. Muss jetzt nur noch einer die passende Jogginghosen-Ideologie formulieren. Damit ich mich dann endlich mal so richtig emanzipatorisch gehen lassen kann.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.