Interview - Medizinethiker: Rassistische Annahme schadet Patienten
Ärzte sprechen herablassend vom "Morbus mediterraneus", wenn sie meinen, Menschen aus dem Mittelmeerraum würden Schmerzen stärker empfinden als andere. Medizinethiker Michael Knipper warnt, dass diese falsche Annahme zu einer schlechten Behandlung führen könne.
Ein "schrecklicher Begriff" sei der "Morbus mediterraneus", sagt Medizinethiker Michael Knipper von der Justus-Liebig-Universität Gießen. "Der suggeriert, als gäbe es tatsächlich eine Krankheit oder etwas, was wissenschafltich begründet ist, weil es so wissenschaftlich klingt." Damit werde die Annahme formuliert, dass Menschen aus dem Mittelmeerraum eine höhere Schmerzempfindlichkeit hätten. "Das ist Quatsch", betont er.
Doch die vermeintliche Diagnose "Morbus mediterraneus" begegne ihm schon so lange, wie er in der Medizin aktiv sei. Dahinter stecke eine rassistische Komponente. Ärztinnen und Ärzte würden Menschen - ohne sie zu kennen - aufgrund eines äußeren Merkmals einordnen. "Das ist wirklich schlecht und schadet der Arzt-Patient-Beziehung, schadet der Patientin, dem Patienten", sagt Knippper.
Knipper: Auch strukturelle Probleme angehen
Wichtig sei es, darüber aufzuklären, dass solche rassistischen Annahmen Unsinn seien. Gleichzeitig müssten strukturelle Probleme angegangen werden. "Da braucht man tatsächlich mehr Aufmerksamkeit, mehr Zeit, mehr Möglichkeiten für Sprache und Kommunikation."