Interview - Professor: FU-Protestcamp wurde zu schnell geräumt
In einem offenen Brief haben Dozenten und Dozentinnen die Räumung eines pro-palästinensischen Portestcamps an der FU Berlin kritisiert. Darunter auch FU-Soziologieprofessor Markus Kienscherf. Er sagt, er sei kein Freund von Eskalation. Zudem müsse man genauer hinsehen und differenzieren.
Pro-palästinensische Proteste gibt es jetzt auch verstärkt in Deutschland. Zuletzt wurde in Berlin kurzfristig ein Innenhof der Freien Universität Berlin (FU) besetzt. Einen offenen Brief gegen die Räumung des Camps durch die Polizei hat auch Markus Kienscherf, Juniorprofessor für Soziologie am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin, mitunterschrieben.
Zur Begründung sagt er: "Weil ich grundsätzlich kein Freund von Eskalation bin." Seiner Ansicht nach wurde der Protest zu schnell geräumt, ohne den Versuch zu starten, mit den Protestierenden ins Gespräch zu kommen.
Mitunterzeichner: Antisemitismus in Wort und Tat nicht legitim
Er habe Verständnis, "wenn es darum geht, antisemitische Übergriffe im Keim zu ersticken". Die Frage bei dem Protest der FU sei, ob antisemitische Parolen gefallen seien oder nicht. Man müsse unterscheiden, welcher Protest gerechtfertigt ist. "Ich bin der Meinung, man muss hier mehr differenzieren und genauer hingucken."
Proteste für einen Waffenstillstand in Gaza halte er für legitim, so der Juniorprofessor. "Was ich nicht für legitim halte, sind jegliche Formen von Antisemitismus - in Wort und Tat." Dazwischen gebe es auch eine Grauzone. Als Beispiel nennt Kienscherf Parolen wie "Intifada", "Free Palestine" oder "From the river to the sea". Es sei nicht vollkommen klar, ob diese Aussagen antisemitisch oder Aufrufe zu Gewalt seien. "Ich wünsche mir verbale Abrüstung und eine sachlichere Auseinandersetzung - auch über den Konflikt an sich."
Professor: Man muss Protest zulassen
Die Unterzeichner des offenen Briefes fordern laut Kienscherf eine Deeskalation. "In dem Brief steht nicht, dass man sich hinter die Protestierenden stellt." Es gehe hingegen darum, dass man Protest zulassen müsse, auch wenn man mit ihm nicht einverstanden ist.
Die Frage, die sich für den Dozenten stellt: "Warum kann man nicht anerkennen, dass Lehrende an der FU, die mit den Studierenden jeden Tag zu tun haben, vielleicht besser entscheiden können, ob man es hier mit idealistischen jungen Menschen zu tun hat, die sich vielleicht etwas verrannt haben [...] - oder hartgesottenen Antisemiten, Antisemitinnen und Terrorunterstützerinnen." Im ersten Fall könne man den jungen Menschen mit Gesprächen begegnen, so der Soziologieprofessor.