Interview - BPB-Präsident: Politik muss sich "an die eigene Nase fassen"
Die jüngste Gewalt an Wahlkämpfern hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Thomas Krüger von der Bundeszentrale für politische Bildung warnt vor "Brandstiftern" und sieht die Politik in der Pflicht: Die habe den Diskurs systematisch nach rechts verschoben und so Konflikte herausgefordert.
Wie können Wahlkämpferinnen und -kämpfer besser vor tätlichen Angriffen geschützt werden? Die Innenministerinnen und -minister von Bund und Ländern wollen darüber am Dienstag beratschlagen. Anlass ist die Attacke auf den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke in Dresden. Aber Anfeindungen gibt es schon viel länger - und sie richten sich gegen Politiker aller Parteien.
Wahlkämpfe werden "mit Fäusten ausgetragen"
Thomas Krüger ist Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB). Auch er sieht eine zunehmende Enthemmung: "Wir haben damit zu tun, dass Wahlkämpfe nicht mehr argumentativ, sondern mit Fäusten ausgetragen werden." Die Täter seien oft junge Männer, die selbst noch nie gewählt hätten und von Brandstiftern sinnbildlich angesteckt würden, "die im Land unterwegs sind und eine erhitzte und irrationale Diskussion vom Zaune brechen", so Krüger.
Um dem entgegenzuwirken, sieht er zwei Stellschrauben: "Das sind repressive Maßnahmen, […] wie kann man Gewalt auf den Straßen in dem Kontext, den wir derzeit haben, Grenzen setzen? Und zum zweiten gibt es natürlich präventive Möglichkeiten und das sind eher langfristige Fragen wie politische Bildung, wie Stärkung der Zivilgesellschaft, wie Argumentationstrainings, die ermutigen, Auseinandersetzungen dann doch wieder argumentativ auszutragen."
Politische Bildung kann nicht die "Feuerwehr" sein
Die politische Bildung könne allerdings nicht die "Feuerwehr" sein, sagt der ehemalige SPD-Politiker. "Sie kann aber langfristig Prozesse mit unterstützen und genau das versuchen wir zu tun, seit Jahrzehnten." Der Politik empfiehlt Krüger, sich zu fragen: "Wie werden Debatten geführt? Wir werden Rahmenbedingungen gesetzt, dass die Argumente ausgetauscht werden und nicht den Diskurs systematisch nach rechts verschiebt, wie das in den letzten Jahren passiert ist und damit sozusagen Konflikte und Gewalt geradezu herausfordert."
Krüger glaubt, "dass wir uns da alle an die eigene Nase fassen müssen, wie wir einen fairen, politischen Diskurs organisieren können, der eben den unterschiedlichen Positionen Rechnung trägt, gleichzeitig aber deutlich macht, dass es rote Linien gibt."