Interview - Stäblein: Kirchenasyl bewahrt Menschlichkeit in der Gesellschaft
Vor 40 Jahren entschloss sich die Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin-Kreuzberg zum ersten Mal, drei Familien aus Palästina Kirchenasyl zu gewähren. Heute leben in ganz Deutschland über 650 Menschen im Kirchenasyl. Die Aufnahme von Menschen in den Gemeinden bewahre das menschliche Gesicht der Gesellschaft, betont Bischof Christian Stäblein.
Am 30. August 1983 sprang der türkische Asylbewerber Cemal Kemal durch ein Fenster im 6. Stock des Berliner Verwaltungsgerichts in den Tod - aus Furcht davor, in seine damals von einer Militärdiktatur beherrschte Heimat abgeschoben zu werden. Die Tat erschütterte viele Menschen - und sie setzte etwas in Gang: Seitdem gewähren Kirchen abgelehnten Asylbewerbern Schutz und Obdach - auch vor dem Zugriff der Behörden.
Stäblein: Recht auf Menschlichkeit einfordern
"Kirchenasyl bekommen die Menschen, die oft hochtraumatisiert bei uns ankommen, meistens dann zunächst bei Beratungsstellen, [...] und die dann an die Kirchengemeinden herantreten mit der Bitte, in diesem besonderen Fall der Not und der Traumatisierung Schutz zu gewähren", sagt Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin Brandenburg Schlesische Oberlausitz. Entscheiden könnten die Kirchengemeinden dann selbst.
"Die Menschen bekommen an dieser Stelle das, was Menschen verdienen, die auf der Flucht sind: nämlich Atempause, Sorge für Leib und Leben - alles das, was sie brauchen, um zunächst einmal zu überleben", sagt Stäblein. Für den Bischof ist das Kirchenasyl "ein zusätzlicher Dienst an dieser Gesellschaft, ihr menschliches Gesicht zu bewahren." Ziel sei es, dort, wo die europäischen Systeme nicht funktionieren, das Recht auf Menschlichkeit und Solidarität noch einmal zu prüfen.