Ein Mitarbeiter verteilt Jogurt an zwei Kinder in der Ausgabestelle der Berliner Tafel. (Bild: dpa)
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Interview - Sozialexperte: "Wirtschaftlicher Aufschwung verteilt sich nicht gerecht"

Viele Erwerbstätige verdienen in Deutschland weniger als 14 Euro in der Stunde. Der Sozialexperte und Arzt Gerhard Trabert kritisiert, dass ein großer Teil der Bevölkerung finanziell benachteiligt sei. Er fordert einen fairen und angebrachten Mindestlohn.

Noch immer gebe es keine faire Entlohnung von Arbeit, sagt der parteilose Sozialexperte und Arzt Gerhard Trabert, der auf der Liste der Linken für das Europaparlament kandidiert. So habe der Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes gezeigt, dass über ein Viertel der Erwerbstätigen von Einkommensarmut betroffen seien: "Das darf doch nicht sein."

Er fordert daher einen fairen und angebrachten Mindestlohn. "Der wirtschaftliche Aufschwung verteilt sich eben nicht gerecht", so der Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden.

Sozialexperte: "Mindestlohn darf nicht dazu führen, dass jemand in die Insolvenz getrieben wird"

 

Dennoch betont der Sozialexperte, dass man beim Mindestlohn differenziert hinsehen müsse - etwa bei Kleinunternehmern. "Das darf nicht dazu führen, dass jemand in die Insolvenz getrieben wird." Er schlägt daher vor, dass Kleinunternehmer bei Steueraufkommen zu entlasten, damit sie höhere Löhne zahlen können.

Als Arzt weist Trabert darauf hin, dass sich Armut auch für Körper und Psyche auswirke. Demnach gebe es unter armutsgefährdeten Menschen eine frühere Sterbequote und höhere psychische Belastung.

Trabert: Haben eine Zunahme von Reichtum - und eine Zunahme von Armut

 

Die Corona-Krise, der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise hätten zu einer Zunahme sowohl von Reichtum als auch von Armut geführt. Trabert spricht von ungerecht verteilten finanziellen Ressourcen. Er fordert eine höhere Besteuerung von besonders reichen Menschen.

Zudem kritisiert der Experte Finanzminister Christian Lindner von der FDP für Aussagen, dass eine höhere Kindergrundsicherung die Eltern weniger motivieren würde zu arbeiten: "Woher nimmt der Mann diese Argumentation? Da gibt es überhaupt keine inhaltlichen Expertisen, die das bestätigen. Das ist reine Diskriminierung von Menschen am Rande unserer Gesellschaft", sagt Gerhard Trabert.

Hintergrund

15 Prozent der Kinder in Deutschland armutsgefährdet

Im vergangenen Jahr waren in Deutschland fast 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren armutsgefährdet.

Das entspricht einer Quote von fast 15 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.

Wie stark Unter-18-Jährige von Armut bedroht sind, hängt demnach auch von der Bildung ihrer Eltern ab. Bei einem niedrigen Abschluss lag die Quote bei rund 38 Prozent. Bei Eltern mit einem Meistertitel oder einem abgeschlossenen Studium waren es knapp 7 Prozent.

Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der Gesamtbevölkerung hat. Im vergangenen Jahr waren das 1.250 Euro netto im Monat.

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