Letzte Rede an die Amerikaner - Obama geht mit großer Sorge

Es war der letzte große Auftritt als US-Präsident: In seiner Heimatstadt Chicago hat Barack Obama seine Abschiedsrede gehalten. Vor Tausenden jubelnden Anhängern warnte er vor einer Bedrohung der Demokratie und rief seine Landsleute zur Geschlossenheit auf. Wir blicken zurück: Aus dem jugendlichen Kämpfer ist ein abgebrühter Politprofi geworden. Obama hat viel erreicht. Sein Land aber bleibt gespalten. Hintergründe zu seiner Amtszeit gibt es hier.

Mit einem eindringlichen Aufruf zur Geschlossenheit hat sich US-Präsident Barack Obama von seinen Landsleuten verabschiedet. Die Demokratie in den USA sei nur dann funktionsfähig, wenn alle Bürger, "unabhängig von unserer Parteizugehörigkeit oder unserem spezifischen Interesse, dazu beitragen, das Bewusstsein einer gemeinsamen Bestimmung wiederherzustellen", sagte Obama am Dienstagabend (Ortszeit) in seiner Abschiedsrede in Chicago. Dieses Bewusstsein werde derzeit "dringend gebraucht".

Die Mahnungen des scheidenden Präsidenten spiegelten seine Sorge angesichts der politischen und gesellschaftlichen Polarisierung des Landes wider, die durch den extrem erbittert geführten Wahlkampf vertieft wurde. Viele US-Bürger, besonders die Angehörigen von Minderheiten, blicken der anstehenden Präsidentschaft des rechtspopulistischen Immobilienmilliardärs Donald Trump mit Ängsten entgegen.

Obama fordert Amerikaner zu Toleranz auf

In der Rede zehn Tage vor Ende seiner Amtszeit stellte Obama die Botschaft in den Mittelpunkt, dass die Demokratie eine gemeinsame Aufgabe aller Bürger sei: "Alle von uns, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, sollten sich auf die Aufgabe stürzen, unsere demokratischen Institutionen zu reformieren."

Von seinen Landsleuten forderte er Respekt für Andersdenkende ein. Der gesellschaftliche Zusammenhalt werde zersetzt, wenn Mitbürger, die eine andere Meinung hätten, "nicht bloß als fehlgeleitet, sondern als irgendwie bösartig" betrachtet würden. Obama nannte es einen gefährlichen Trend, dass sich die Menschen in ihre jeweiligen "Blasen", also abgeschlossenen Lebens- und Wahrnehmungswelten, zurückzögen. Wenn die Bürger keine Informationen mehr akzeptierten, die nicht zu ihrer Meinung passten, würden Konsens und Kompromiss unmöglich.

In der 50-minütigen Rede nannte Obama seinen Nachfolger nur ein einziges Mal beim Namen. Neben dem Aufruf zur gesellschaftlichen Solidarität enthielt seine Ansprache eine Serie unmissverständlicher Botschaften an Trump. So warnte der erste afroamerikanische US-Präsident vor der Diskriminierung von Minderheiten wie Schwarzen, Einwanderern und Muslimen. Trump hatte den Wahlkampf mit scharfer Polemik gegen Minderheiten aufgeheizt.

Rückblick auf seine Amtszeit

Fast wie ein Heiland war er gekommen. Von der Wolkenkratzerstadt Chicago gestartet und ins Weiße Haus gewählt, wollte Barack Obama ein ganz anderes Amerika bauen: fairer, toleranter, bunter, weltoffener. Acht Jahre hatte er Zeit. Er scheiterte oft, verpasste manches und erreichte dennoch viel. Am Ende muss er retten, was zu retten ist.  

Obamas größte Momente

Obama in Zahlen: Arbeitslosigkeit halbiert, bei Schusswaffen versagt

  • Guantanamo

  • Obamacare

  • Arbeitslosigkeit

  • Afghanistan

  • Homo-Ehe

  • Schusswaffen

Obama übernahm bei Amtsantritt einen Scherbenhaufen

Vermutlich werden das Urteil erst Geschichtsschreiber fällen können. Dass er die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllen konnte, war schon am Tag eins seiner Präsidentschaft klar. "Das hätten zehn Präsidenten nicht schaffen können", urteilte die israelische Zeitung "Haaretz". "Statt die demokratische Kongressmehrheit zu nutzen, um Klimaschutz und Waffengesetze voranzubringen, hat er sich mit Obamacare (seiner Gesundheitsreform) verstrickt", sagt der konservative Kolumnist Eric Ericksson. "Das hat seine Demokratische Partei zerstört."

Unbestritten ist, dass Obama bei seinem Amtsantritt 2009 einen Scherbenhaufen von seinem republikanischen Vorgänger George W. Bush übernommen hatte. Zum Ende seiner Amtszeit hatte der Republikaner praktisch abgewirtschaftet. Seine Zustimmungswerte waren auf einem historischen Tief, die US-Wirtschaft steckte in einer tiefen Krise. Bush hatte mit seinem ungerechtfertigten Eingriff im Irak dem Ruf der USA international schwer geschadet und kein Konzept für Afghanistan.

Amerika sollte nicht der gefräßige Wolf sein

Obama übernahm: Die Vorschusslorbeeren waren riesig, wohl auch, weil die Welt glaubte, es könne nur besser werden. Ein paar Reden reichten, um Obama zum Träger des Friedensnobelpreises zu machen. "Wofür?", fragte die Opposition in Washington, und selbst der Geehrte schien ein wenig verlegen. Obama kündigte den Wandel an, Amerika sollte in der Welt nicht mehr als der gefräßige Wolf wahrgenommen werden, sondern als ein potenter Freund. Selbst in der Klimapolitik schwenkten die USA auf die Linie des restlichen Westens ein.

Doch das war gefährlich. Heute ist klar: Obamas militärischer Abzug aus dem Irak kam zu früh, das Vakuum füllten Terroristen. Die Führungsrolle im Libyen-Konflikt nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis überließ er zwei schwachen Partnern: Nicolas Sarkozy (Frankreich) und David Cameron (Großbritannien). In Libyen herrscht Chaos. China konnte Obama nur schwer in Schach halten, den russischen Präsidenten Wladimir Putin gar nicht. "Acht Jahre wurde Amerika von einem Präsidenten regiert, der unser Land nach außen systematisch kleinredete", schreibt Jeff Jacoby im "Boston Globe".

Wichtigstes Ziel nicht erreicht - die Spaltung der Amerikaner überwinden

Innenpolitisch gelang ihm die Aufräumarbeit besser: Die Finanzkrise wurde überwunden, die gierigen Finanzjongleure an die Leine genommen. Der Dodd-Frank-Act, ein Gesetz zur Regulierung der Finanzindustrie, trägt Obamas Handschrift. In acht Jahren hat Obama die Arbeitslosigkeit halbiert und die US-Wirtschaft wieder so auf die Beine gestellt, dass die Notenbank die Zinsen erhöhen kann. Die Republikaner sind dennoch nicht zufrieden. Sie sprechen von der langsamsten Wirtschaftserholung der Geschichte - als wäre die Finanzkrise ein ganz normaler Wirtschaftszyklus gewesen.

Sein wichtigstes Ziel erreichte Obama nicht: Er wollte die Spaltung der Amerikaner überwinden. Unter Obama erschossen weiße Polizisten unschuldige Schwarze - da half es auch nicht, dass der Präsident medienwirksam "Amazing Grace" sang und öffentlich Tränen vergoss. Unter Obama wuchs die Kluft zwischen der Landbevölkerung im Mittleren Westen und den Metropolen an den Küsten. Auch unter Obama wurden Reiche reicher und Arme ärmer. Auch nach Obama hat Amerika ein Bildungsproblem, das in ein Wohlstands- und Gesundheitsgefälle mündet.

Knüppel zwischen die Beine von Trump.

Gescheitert ist Obama - er ist nicht der erste US-Präsident - auch im Nahen Osten. Die Deutungshoheit über Syrien hat inzwischen Wladimir Putin, zu dem das Verhältnis zuletzt immer schlechter wurde. Ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern ist weiter entfernt denn je. Benjamin Netanjahu, ein Rechtsaußen an der Macht in Israel, und der liberale Obama - das konnte nicht gut gehen. Immerhin hat die schwindende Rücksicht auf Israel dazu geführt, dass Obama den Atomdeal mit dem Iran durchboxte - und die USA auch offiziell aussprachen, was Generationen von US-Regierungen nur hinter vorgehaltener Hand munkelten: Israel muss endlich seine Siedlungspolitik ändern, wenn es einen Frieden in Nahost geben soll.

Dass Obama ganz am Ende seiner Präsidentschaft noch eine Resolution im UN-Sicherheitsrat gegen den engen Verbündeten Israel durchwinkt - es passt ins Bild der Obama-Jahre, in denen es ihm nie leicht gemacht wurde. Höchstpersönlich sorgt er nun dafür, dass auch sein Nachfolger sein Säcklein zu tragen haben wird. Obamas letzte Amtshandlungen - von Israel bis zum Bohrverbot in der Arktis - waren allesamt Knüppel zwischen den Beinen von Donald Trump. (dpa)

Gegenüberstellung Trump-Obama Zitate