Mindestlohn-Gewinner - Mit dem Lohn steigt auch die Anerkennung
Seit Januar gilt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro in Deutschland. Doch wer profitiert tatsächlich davon? Andreas Vogtmeier hat drei Arbeitnehmerinnen in Brandenburg getroffen, die am Monatsende jetzt mehr Geld in der Tasche haben.
Sylvana Lautenschläger (47), Bäckereiverkäuferin , Brandenburg a. d. Havel:
Statt 8,32 Euro verdient Sylvana Lautenschläger seit Januar 9,32 Euro in der Stunde. Im Monat hat die Bäckereiverkäuferin nun 1132 Euro netto. Keine Reichtümer, aber immerhin. Jetzt kommt die 47-Jährige mit ihrem Gehalt über die Runden. Vor dem Mindestlohn war das anders. "Das Geld hat hinten und vorne nicht gereicht. Man hat praktisch den ganzen Tag gearbeitet, konnte aber davon nicht leben."
Nur weil ihr Mann schon im vergangenen Jahr mehr als den Mindestlohn verdient hat, musste die Familie nicht mit Hartz IV aufstocken. "Viele alleinstehende Verkäuferinnen mussten ja noch die Zuschüsse vom Arbeitsamt in Anspruch nehmen, weil sie nicht zurechtgekommen sind."
Dabei haben sie einen schweren Job. Bei der Bäckerei Steinecke in Brandenburg an der Havel wird in drei Schichten gearbeitet. Der Frühdienst beginnt um 4 Uhr morgens. Ab dann sind die Verkäuferinnen im Dauereinsatz - acht Stunden auf den Beinen. "Manche denken, ein Stück Kuchen und ein halbes Brot zu verkaufen ist einfach", meint Sylvana Lautenschläger. "Doch die ganzen Vorbereitungen, damit die Ware überhaupt in den Tresen kommt: man muss die Lieferungen der Fahrer reinbringen, Brötchen selber schmieren und nebenbei noch verkaufen – das ist anstrengend."
Das weiß auch die Chefin. Katrin Steinecke hat zum 1. Januar die Gehälter von 1700 Mitarbeiterinnen erhöht. In allen 820 Steinecke-Filialen wird jetzt Mindestlohn gezahlt. Das Gesetz hält die Chefin für gut, weil jetzt gleiche Regeln für alle gelten – auch für die Billigkonkurrenz. "Man sollte sich hinter gesetzlichen Maßnahme nicht verstecken, aber sie war notwendig", ist Steinecke überzeugt. "Es hätte vorher einen erheblichen Wettbewerbsnachteil bedeutet, wenn man als Einzelkämpfer vorgeprescht und Preise und Löhne erhöht hätte."
Für die Firma Steinecke bedeutet der Mindestlohn Mehrkosten von 400.000 Euro pro Monat. 145 Euro davon bekommt Sylvana Lautenschläger. Eine Gehaltserhöhung auf die sie lange warten musste, immerhin arbeitet sie schon fast 20 Jahre für das Unternehmen.
Carmen Wernicke (37), Verkäuferin Sozialkaufhaus , Brandenburg a. d. Havel
Carmen Wernicke verdient statt 7,70 Euro nun exakt 8,50 Euro in der Stunde. Die 37-Jährige arbeitet als Verkäuferin in einem Sozialkaufhaus in Brandenburg a. d. Havel. Den Job hat sie seit 2012. Vorher war die gelernte Schneiderin lange arbeitslos, lebte zwischenzeitlich von Hartz IV. "Ich bin froh, dass ich hier überhaupt reinrutschen konnte", sagt sie. "Ich hatte mich vorher eineinhalb Jahre lang beworben, aber weil ich drei Kinder zuhause habe, ist das sehr schwer gewesen."
Natürlich freut sich Carmen Wernicke darüber, dass sie netto jetzt 60 Euro mehr im Monat verdient. Auch wenn dabei die Angst mitschwingt, was passiert, wenn das Sozialkaufhaus die höheren Lohnkosten nicht wieder einspielt. Eine Sorge, die vor allem auch Wernickes Chef Sven Wolfram umtreibt. "Für mich ist das schwierig, ich habe da zwei Herzen", meint er. "Aus Arbeitnehmer- und Endverbraucher-Sicht ist der Mindestlohn eine ganz wichtige Sache, gerade hier in unserem Teil der Republik. Als Arbeitgeber und Unternehmer tut mir das aber doch schon weh, weil in einer Branche tätig bin, die nicht so schnell Gewinne einfährt."
Dass der Mindestlohn auch Schattenseiten hat, musste Carmen Wernicke Ende Januar erfahren. Da kam die erste Gehaltabrechnung ihres Mannes. Obwohl jetzt beide den Mindestlohn bekommen bleibt absurderweise weniger Geld in der gemeinsamen Haushaltskasse. "Mein Mann bekommt im Endeffekt weniger, weil ihm sämtliche Zuschläge gestrichen wurden. Er hat dadurch 150 Euro weniger im Monat, ich habe 60 Euro mehr, das heißt wir machen trotzdem Miese."
Der Arbeitgeber ihres Mannes hat einfach die freiwillige Zahlung der Schichtzulage eingestellt. Seine Begründung: Anders lasse sich der Mindestlohn nicht finanzieren. So werden aus Gewinnern Verlierer.
Lisann Schierz (22), Hotelfachfrau , Cottbus
Bei Lisann Schierz ist der Stundenlohn von 7,80 Euro auf 9,25 Euro gestiegen. Die 22-Jährige arbeitet im Waldhotel Cottbus – quasi als Mädchen für alles. Wenn das Hotel voll ist, sind 10-Stunden-Arbeitstage keine Ausnahme. Unter anderem der Service fällt in ihren Zuständigkeitsbereich. "Es gibt natürlich stressige Tage, im Sommer, wenn die Terrassensaison wieder losgeht oder bei Feierlichkeiten. Das sollte man aber den Gästen nicht rüberbringen, sondern immer das Beste daraus machen."
Lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung – mit diesem Ruf hat die Branche zu kämpfen. Nicht ohne Grund haben viele Hotels Probleme geeignete Arbeitskräfte zu finden. Olaf Schöppe ist der Besitzer des Waldhotels. Er hofft, dass nun endlich das Dumpinglohn-Image verschwindet. "Der Mindestlohn hilft natürlich, weil dadurch tatsächlich ein Lebensmindeststandard mit der Arbeit gesichert ist", ist er überzeugt. "Wobei ich sagen muss, dass viele Kollegen auch vorher schon jahrelang über dem Mindestlohn gezahlt haben."
Lisann Schierz hat vor drei Jahren im Waldhotel ihre Lehre beendet. Ihr Einstiegsgehalt betrug danach 1350 Euro brutto – deutlich unter Mindestlohn. Jetzt verdient sie 1600 Euro. Das macht sich bemerkbar und das nicht nur im Portemonnaie. "Man ist nicht mehr von den Eltern abhängig. Man kann sich mehr leisten und man wird auch ganz anders angesehen, das ist so."
Mit dem Lohn ist auch die Anerkennung gestiegen. Das Gefühl, nicht von der Arbeit leben zu können, haben viele als demütigend empfunden. Auch deshalb ist der Mindestlohn für sie ein Gewinn.