
- 1919
Das Deutsche Kaiserreich ist unwiederbringlich dahin, eine neue Ordnung ist noch nicht in Sicht. Desillusioniert notiert Theodor Piper die politischen Verwerfungen des Jahres: Der "Gewalt- und Schandfriede" wird Realität.
7. Januar 1919
Neue Straßenkämpfe in Berlin. Wir sitzen bei Kerzenlicht, da das Elektrische nicht funktioniert. Der Christbaum brennt zum letzten Mal in seinem Strahlenglanz. Entwurf der Verfassung einer Volkskirche in "Licht und Leben". Anne hat Versammlung der Frauen zur Wahlaufklärung.
19. Januar 1919 (Nationalwahl)
Anne ist Schriftführerin bei der Wahl, die von 9-8 Uhr dauert; Resultat: 53 Stimmen auf die Unabhängigen in einem reinen Bauerndorf.
22. Februar 1919
Ermordnung Eisners in München, neue innere Verwicklungen!
23. Februar 1919
Der Tischler verkündet mir seinen Haß gegen den Lehrer, weil der es verhindert habe, dass er in den Gemeinderat gewählt wurde. 2 Uhr Kriegerempfangsgottesdienst; die Mädchen singen 3-stimmig "Gott grüße dich" und "Es kommt der Herr".
26. Februar 1919
In Plauen regieren Spartakisten!
9. März 1919
Generalstreik in Leipzig und Berlin; wir bekommen schon seit mehr als 8 Tagen keine Leipziger Zeitung! Lohnkampf auf dem Schilbacher Gut.
19. März 1919
Die Fastenkirche fällt aus wegen Orgeldefekt und Lichtermangel.
8. Mai 1919
Predigtvorbereitung; Beginn der Gartenarbeit und des Säens, endlich! Die Friedensbedingungen werden bekannt. Betrogen und Entehrt! Und das nennt sich Rechtsfrieden und Völkerbund!
9. Mai 1919
Man steht noch unter dem Eindruck der Friedensbedingungen!
10. Mai 1919
Lähmender Eindruck der Friedensbedingungen; man hat zu nichts Lust. Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung; Übergabe der infamen Friedensbedingungen an unsere Feinde; allgemeine Empörung über den Betrug, Landestrauer von 8 Tagen.
14. Mai 1919
Scheidemanns Rede über den Gewaltfrieden. Die Proteste - was nützen sie? Man muss durch den Abgrund hindurch.
25. Mai 1919
Der Friedenskampf in Versailles! Treibereien der Franzosen in der Pfalz. Wenn der Satan noch keinen Namen hätte, müßte er Clemenceaux heißen! - Trotzdem freuen wir uns an dem schönen Frühling.
18. Juni 1919
Unterverbandstag in Saalburg; ich bin Schriftführer. Eröffnugn durch Goldhan; Berichterstattung der Vereine, Berichte und Vorträge; aus Allem klang der Ernst der Zeit. DAzu wurde die schamlose Antwort der Entente auf die deutschen Gegenvorschläge bekannt. Was wird nun werden aus uns? Unterwerfung und Schande? Oder Kommunismus und Weltrevolution? Das letztere würde ich vorziehen; man möchte gerne ein paar Jahre weiter sein!
21. Juni 1919
Das Kabinett Scheidemann tritt zurück, weil es die Friedensbedingungen nicht unterschreiben will.
22. Juni 1919
Ultimate der Entente. Hier ist Tanz, und morgen soll Deutschland den Sklavenfrieden annehmen!
29. Juni 1919
Raiffeisen-Generalversammlung in Künsdorf; ich spreche über "Was wird aus unserem Geld und Kriegsanleihen?" - Der Schandfriede ist unterzeichnet! Was wird nun weiter? Knechtschaft oder Bolschewismus? Neuaufflammen der Streiks.
13. Juli 1919
Viel Regen. Die Heuernte stockt. Aufhebung der Blockade; das Hamstern lässt nach. Die Lebensmittel werden billiger. Der Kaiser, Hindenburg und viele andere sollen ausgeliefert werden!
11. August 1919
Ephoralversammlung in Schleiz. Auerbach spricht über die Trennung von Kirche und Staat. Ich trete für Vereinigung mit Thüringen und den anderen deutschen Landeskirchen ein. Auerbach wehrt ab und sagt, daß zunächst die rein juristische Ablösung erfolgen müsste, das Andere komme nachher. Ich drücke mich um 5 Uhr; auf der Rückfahrt will das Pferd scheuen vor Autos.
15. Dezember 1919
In Schleiz Versammlung von Vertrauensmännern für Wohlfahrtspflege. Vortrag von Frau Wiesenhavern über Säuglingsfürsorge. Münch redet endlos über die Gesetze der Fürsorge für Kriegshinterblieben. Schulinspektor Behr über Jugendfürsorge; ich rede auch ausführlich dazu. Strauch sitzt mir gegenüber, futtert während der Vorträge sein Butterbrot, reinigt seine Fingernägel und gähnt die Menschheit an! Meyer liest 2 Stunden lang vor über den Landeskirchenrat und die Vereinigung der Thüringer Kirchen.