Handschriftlicher Tagebucheintrag Theodor Piper v. 11. November 1918,

- 1918

Ab dem Spätsommer zeichnet sich ab, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Die Bündnismächte Österreich-Ungarn und Bulgarien kapitulieren. In seinen Tagebüchern hält Theodor Piper die resignative Stimmung fest: alle wollen nur noch, dass es möglichst schnell zu Ende geht.

13. Januar 1918

Aufregung wegen Friedensverhandlungen in Brest.

30. Januar 1918

In Berlin Massenstreik.

11. Februar 1918

Nachricht vom Frieden mit Rußland. Dankgottesdienst um 7 Uhr. Predigtthema: "Danket dem Herrn - Unsere Gedanken beim Klang der ersten Friedensglocke." Teil 1) Die große Gefahr 2) Gottes Hilfe 3) Die große Aufgabe. - Unterverbandstag. Abends Tanz im Saal mit den Trachten. Der Landrat hats erlaubt. Große Freude der Jugend. Ein wohlgelungener Ehrentag für Seubtendorf!

22. März 1918

Blechschmidts Frau ist plötzlich gestorben und hinterläßt 10 Kinder! Großer Krach zwischen Kirchenrat und Pfeifer wegen Abendmahlswein in Togau. Die Togauer haben ihn verklagt. Beginn der Offensive im Westen.

15. August 1918

Nachmittags nach Plauen - Reinhard Haller erzählt von seiner Kugel im Kopf; zurück mit Bankdirektor, er erzählt von den unglaublichen Zuständen in Österreich: Verrat; Verbitterung, Fehlen jedes Verantwortgsgefühls

16. August 1918

Ich muß Thrums die Nachricht vom Tode des Lehrers Mutzler überbringen. Er war ein tüchtiger Mensch, hat schon viel durchgemacht, der letzte Offizier seines Regiments, der seit Kriegsbeginn dabei ist!

20. August 1918

Besuch bei Köcher. Frau ist am Streuhacken. „Wenn nicht die Sorgen wären. Mein Sohn Hermann ist seit 24. Juni vermisst. Noch keine Nachricht.“ Sie zeigt mir das Bild. "Es war zu viel Hochmut, keiner konnte genug kriegen. Sie haben schon recht gepredigt: Nun ist die Strafe da!“ Dann zeigte sie mir ein Brot. „Werner kann es kaum essen, so schlimm ist man dran. Doch wir wollen froh sein, dass wir überhaupt noch was haben!“

26. September 1918

Kriegsanleiheversammlg in Hirschberg, es ist die denkbar schlechteste Stimmung für Kriegsanleihe

28. September 1918

Nachricht vom Waffenstillstandsangebot Bulgariens; die trübsten Zeiten des Krieges! –

6. Oktober 1918

Bisher schwerste Krisis des Krieges durch Abfall Bulgariens; Niederlage der Türken, Rückzug im Westen, innere Umwälzung in Deutschland! Viele schöne Hoffnungen werden zu Grabe getragen.

7. Oktober 1918

Reichskanzler bittet Wilson um Friedensvermittlung.

9. Oktober 1918

Niederlagenstimmung in Erwartung der Antwort Wilson auf unser Friedensangebot

10. Oktober 1918

Nach Gera zum Kursus für Vaterländischen Volksunterricht; im Zuge die "Leipziger Neusten Nachrichten" über Abgabe Elsaß-Lothringens und der Ostmark in den Friedensbedingungen Wilsons und deren Annahme durch unse Regierung. Ich bin des Zusammenbruchs Deutschland gewiß. – Trostlos! – In Gera vortreffliche Vorträge von Stoy über die „Entstehung des Weltkrieges“ , Ehringhaus über Ernährung und ein Vortrag über Bekleidung; nachmittags Fragebeantwortung und Schlußvortrag über die militärische Lage. „Unsere Lage ist weit davon entfernt, eine verzweifelte zu sein!“

11. Oktober 1918

Gespräche über den Krieg, alle sind des Krieges überdrüssig und würden auch Elsaß-Lothringen, wenn es sein müßte, hergeben.

16. Oktober 1918

Wilson lehnt unser Waffenstillstandsgesuch in unverschämter Weise ab; allgemeine Niedergeschlagenheit: Wenn schon das Schicksal will, daß wir untergehen, dann lieber in Ehren untergehen, statt in Schande!

7. November 1918

Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen, in Kiel und Hamburg Aufruhr der Matrosen und Arbeiter

8. November 1918

Revolution in Deutschland! Wer hätte je gedacht, daß wir so weit kommen würden! Hoffentlich wird es keine russische Revolution!

9. November 1918

In Langgrün hat es die Nacht gebrannt! Vormittags Predigtarbeit; rechte Ruhe zum Arbeiten hat man nicht in diesen bewegten Zeiten. In Bayern ist die Republik erklärt! Nachmittags mit Anne nach Langgrün zur Brandstätte von Drechsels Anwesen, trauriger Anblick; die Frau ist ganz fassungslos, der Mann ist im Feld. Abends Nachricht von der Abdankung des Kaisers und Kronprinzen.

10. November 1918

Letzes Kirchengebet für Kaiser und Fürst!

11. November 1918

Ich habe nun auch die Grippe und bleibe zu Bett und schwitze. Heute werden die unerhörten Waffenstillstandsbedingungen angenommen! Welch ein Ende nach so großen Erwartungen!

12. November 1918

An Grippe zu Bett liegen; der Umsturz geht weiter. Hoffentlich auch nach Frankreich und England! Auch unser Fürst dankt ab. Wenige trauern ihm nach! Ich erwische noch kurz vor Torschluß einen Orden!

17. November 1918

Ich lasse den Gottesdienst ausfallen, da ich, der Lehrer und der größte Teil der Gemeinde krank sind; Briefe, ausruhen; draußen Frost. Eine der traurigsten Wochen der deutschen Geschichte! Ein mehr als vierjähriges Heldentum ohne Gleichen endet mit schmählicher Unterwer-fung und innerem Zusammenbruch. So groß fing der Krieg an, so klein hört er auf! Und das deutsche Elsaß wird französisch. Grippewoche.

22. November 1918

Gedrückte Stimmung; die Franzosen ziehen in Straßburg ein; was wird aus Deutschland werden?

24. November 1918

Rückmarsch aus Frankreich, Belgien u. vom linken Rheinufer. Der Gewalt- u. Schand-friede soll Wirklichkeit werden, damit Deutschland ruiniert wird, im Inneren noch keine Klarheit.

27. November 1918

Die Langgrüner Jugend hat am Bußtag den Gottesdienst gestört, weil ich gesagt habe, das Deutsche Volk hätte noch 14 Tage aushalten sollen, dann wären wir gerettet gewesen!

9. Dezember 1918

Ephoralkonferenz in Lobenstein; Schmidt redet so lange, daß ich überhaupt nicht mein Referat über die „Dorfkirche“ halten kann! Mächtiges Schimpfen auf die Revolution, Demokratie, Sozialismus, Liberale. Ich fühle mich nicht wohl in diesem Kreise.

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Bildcollage, li.: Wohnstube des Pfarrhauses Seubtendorf, im Hintergrund Marie Piper (geb. Kosbahn) um 1914, re.: Marie Piper (geb. Kosbahn) mit ihren Enkelinnen Ruth (li.) und Marianne (re.), im Hintergrund ihre Schwiegertochter Anne Piper, geb. Stiefelhagen. - Reproduktion: R. Piper © 2014

Pastor Pipers Tagebücher

Vor 100 Jahren, im August 1914, begann der 1. Weltkrieg. Wie hat sich die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" in einem kleinen Dorf in Deutschland abgespielt? Darüber geben die Tagebuchaufzeichnungen von Theodor Piper Auskunft, Pfarrer in der 200-Seelen-Gemeinde Seubtendorf.