Handschriftlicher Tagebucheintrag Theodor Piper, 11. Oktober 1917: "Lichtbilder vorbereiten. Etwas angegriffen, ausruhen. Schöner, stiller Herbsttag. Abends ½9-½10 Lichtbilder in der Kirche: „Deutschland im 4. Kriegsjahr“, Ansprache über 7. Kriegsanleihe. Recht dürftiger Besuch, es ist noch keine Zeit für so etwas, die Leute sind zu müde von der Arbeit." -Scan

- 1917

Immer deutlicher wird die Lebensmittelknappheit und die Teuerung auch in Seubtendorf spürbar, wenn auch nicht so stark wie in den Städten. Deren Bewohner kommen aufs Land und betteln bei den Bauern um Nahrung.

28. Januar 1917

Seubtendf. ½9, Künsdf ½11, Langgr. ½1 Kaisersgeburtstagsgottesdienst. Predigtthema: “Wozu brauchen wir den Kaiser?“ Tiefer Schnee. In den Kirchen mindestens -10° C! Kohlen- und Kartoffelnot in den Städten.

1. Februar 1917

Nachricht vom Beginn des unbeschränkten U-Bootkrieges! Große Freude. Ein Glas Johannisbeerwein!

18. Februar 1917

In den Städten immer noch große Kohlennot, Tante Martha muss sich jeden Tag im Handwagen in Berlin Kohlen holen

19. Februar 1917

Raiffeisen-Unterverband in Oschitz. Gürnzel spricht über die Lage auf Getreide u. Düngemittelmarkt. Ernste Zeit. Jedes Pfund Korn muß hergegeben werden! Mehr bargeldloser Verkehr! Not der Reichsbank. Auch nach dem Kriege wird die Notzeit anhalten.

25. Februar 1917

Mein Vater ist von hier nach Aurich drei Tage unterwegs gewesen, im Personenzug, da kein Schnellzug mehr fährt.

7. März 1917

Gespräch mit L. Temmler aus Künsdorf betr. Telegramm nach Ohrdruf, damit er einen Tag länger Urlaub zur Beerdigung seiner Mutter bekommt. „Wieviel unnütze Zeit ist man beim Militär! Morgens 2 ½ St. Dienst und nachmittags ebenso, das ist doch keine Arbeit für unsereinen. Wie gut hätte man hier zu tun, von früh 4 Uhr bis spät Abends. Hier bleibt alles liegen. Noch nicht einmal Holz ist klar gemacht, so daß man nächsten Winter nichts zu brennen hat!“ Ich kam auf d. Heubeschlagnahme zu sprechen. Da wurde er sehr erregt. „Erst wenn man selber beim Militär ist, sieht man wie ungerecht es da zugeht. Früher hats man nicht geglaubt mit dem Militärismus. Unser Major sein Pferd bekommt Hafer und Heu, hat nichts zu tun, so dass es der Bursche spazieren führen muss, und unseren Pferden, die so viel zu arbeiten haben, wird das bisschen noch genommen“. Ich kam auf d. Kriegsanleihe zu sprechen. Da sagte er: „Ich zeichne gewiß nichts wieder und wenn ich’s hätte“! Ich sagte, dass dann der Krieg noch länger dauere, wenn es Alle so machten. Er meinte, Geld sei schon genug da, aber mit der Nahrung fehle es. Auch sei ihm alles einerlei.

1. April 1917

Immer noch kein Frühling. Revolution in Russland. Überschwemmung der Dörfer mit bettelnden Plauenern, täglich 10 bis 20.

3. April 1917

Abends Ausschuß für Landkinder und Versammlung. der Frauen in der Schule. Ich trage die Bedingungen der Aufnahme von Stadtkindern auf dem Lande vor. Anne bringt Erfolg in die Sache, indem sie vorschlägt, gleich herumzufragen. Ebenso unterstützen uns Sippel u. Feig. Der Erfolg ist schön, da 14 Kinder untergebracht sind. Wo der Bauer die Not sieht, da hilft er auch! Und man muß voranspringen über den Graben, wie der Bock vor der Hammelherde.

8. April 1917 (Ostersonntag)

Predigtthema "Der Osterglaube in schwerer Zeit": 1) Das tiefe Leid, 2) Die neue Hoffnung, 3) Die frohe Gewissheit. - In Langgrün muß ich dem Bürgermeister den Tod seines Sohnes Emil mitteilen. Es erhebt sich ein wüstes Geschimpfe über die ungerechte Behandlung seines Sohnes und dass es die Andern alle besser hätten. Vergangene Ostern hätte ich diese garstige Predigt gegen sie gehalten, und jetzt passiere ihnen dies! - In Seubtendorf singen die Mädchen 3-stimmig „An die Gefallenen“ u. „Gott ist mein Lied“.

12. April 1917

Herumgehen betreff Kriegsanleihe. Nichts zu erreichen.

5. Mai 1917

Glockenlisten absenden

10. Mai 1917

Anne schreibt einen Artikel für den Raiffeisen-Boten: „Wenn unsere Glocken erzählen könnten“

3. Juni 1917

Wir bestellen bei Edmund Thrum die Milch ab, weil er den Wucherpreis von 26 Pfg. verlangt. Dabei hat er es mir zu verdanken, dass er nicht mehr bei den Soldaten ist! Die Bauern sind aus Egoismus zusammengesetzt.

18. Juni 1917

Die Stadtkinder in Göttengrün abholen. Voll Vertrauen und Hoffnungen gehen sie aufs Land. Hoffentlich finden sie es überall gut!

24. Juni 1917

Abends Kirchenvorstand, betr. Abgabe von Glocken und Orgelpfeifen

28. Juni 1917

Gespräch mit Vater Hänsel: „Wir gewinnen den Krieg nicht, wir müssen hungern, in den anderen Ländern bekommen sie überall noch was! Der Russe bei Thrums bekommt so viel geschickt! Und die Engländer hören in 5 Jahren nicht auf!“

3. Juli 1917

Glockenabschied. Zum letzten Male haben beide Schwestern heute geklungen, ein traurig Läuten wars. Sie sahen die Jahrhunderte gemeinsam kommen und gehen. Nun will die eine scheiden. Die Not der Zeit zwingt sie dazu. Ihr letztes Tönen rührte die Herzen der Lebenden, es dringt hinunter zu den Toten des Gottesackers; auch die Felder trauern mit, denn die Glocke segnete die Ernte; und der Himmel schaut ihr liebend nach: „Zu mir hast Du die Menschen gerufen, hab Dank für Deine Mühe!“

5. August 1917

Nach wochenlanger Trockenheit stellt sich endlich ergiebiger Regen ein. Es wächst kein Futter, so dass das Vieh keine Milch mehr gibt. In den Brunnen fehlt das Wasser. Die Kornernte hat begonnen. In unserem Garten sieht‘s infolge der Trockenheit auch bös aus, nur die Bohnen waren ergiebig.

6. August 1917

Uhrkette zur Goldsammlung abgegeben

11. Oktober 1917

Abends Lichtbilder in der Kirche: „Deutschland im 4. Kriegsjahr“. Ansprache über 7. Kriegsanleihe. Recht dürftiger Besuch, es ist noch keine Zeit für so etwas, die Leute sind zu müde von der Arbeit.

28. Oktober 1917

In Seubtendorf fällt der Gottesdienst aus, da die Orgel durch Mäusefraß vollständig unbrauchbar geworden ist.

4. November 1917

Theaterspielen und Singen der Jugend vor den Kindern, ½9 vor den Erwachsenen. Große Begeisterung. Zwei Stücke, eines vom Russeneinfall in Ostpreußen und ein Hamsterstück. Massenhafte Beteiligung. 130 Mark Einnahme.

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Bildcollage, li.: Wohnstube des Pfarrhauses Seubtendorf, im Hintergrund Marie Piper (geb. Kosbahn) um 1914, re.: Marie Piper (geb. Kosbahn) mit ihren Enkelinnen Ruth (li.) und Marianne (re.), im Hintergrund ihre Schwiegertochter Anne Piper, geb. Stiefelhagen. - Reproduktion: R. Piper © 2014

Pastor Pipers Tagebücher

Vor 100 Jahren, im August 1914, begann der 1. Weltkrieg. Wie hat sich die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" in einem kleinen Dorf in Deutschland abgespielt? Darüber geben die Tagebuchaufzeichnungen von Theodor Piper Auskunft, Pfarrer in der 200-Seelen-Gemeinde Seubtendorf.