Handschriftlicher Tagebucheintrag Theodor Piper v. 7. März 1917 (Auszug)

- 1915

Die große Kriegsbegeisterung des Sommers 1914 weicht allmählich. Der Schlachtruf "Weihnachten sind wir wieder zuhause!" hat sich nicht bewahrheitet. Allmählich beginnt sich der Mangel abzuzeichnen.

27. Januar 1915

Kaisers Geburtstag. Gottesdienste um halb neun in Künsdorf, halb elf Seubtendorf, zwei Uhr Langgrün. Predigt über Psalm 33/22: "Deine Güte, Herr, sei über uns, wie wir auf Dich hoffen". Predigtthema: "Unser Kaiser im Frieden und im Krieg“.

11. März 1915

Große Siegesfeier bei Hallers. Es war aber Essig! Keine 45.000 Franzosen gefangen!

18. April 1915

Ich lasse die Kriegsbetstunden wegen der Feldarbeit und aus Lichtermangel zunächst ausfallen.

17. Mai 1915

Wieder furchtbare Zeiten der Spannung wie bei Kriegsausbruch:- Wird Italien auch gegen uns gehen? Der große Kriegsoptimismus schwindet allmählich. Es ist die Lage Friedrichs des Großen: Wir müssen froh sein, wenn wir uns behaupten!

6. Juni 1915

Große Dürre in ganz Deutschland, wenn's nicht bald regnet, wird es bös.

20. Juni 1915

Immer noch Trockenheit! Die Heuernte hat begonnen. Es konnte wegen der Dürre fast gar kein Kraut gesteckt werden. Das Korn reift trotzdem gut, aber es wächst sonst nichts mehr. Die Wiesen sind versengt. Der Bach hat kein Wasser und die Brunnen werden leer.

25. September 1915

Predigt machen. 12 Milliarden Kriegsanleihe! die Kartoffelernte schreitet schnell vorwärts, sie ist sehr reichlich.

10. November 1915

Heute nachmittag war Frau Alwine Thrum zum Kaffee. Wir sprachen über den Geiz mancher Bauern. Feig hat 2 Liter Petroleum aufgekauft und rennt trotzdem jedesmal zum Petroleummann und kauft dazu. Dagegen hat Minna Elschner nichts mehr, obwohl sie aufs Nähen angewiesen ist. Ähnlich beim Tischler. Er hat auch mächtig gehamstert. Er ist imstande, das ganze Dorf in Aufruhr und Zwietracht zu bringen, wenn nur er Nutzen davon hat. Sein Hauptbestreben geht dahin, Stänkereigelegenheit zu suchen und dabei im Trüben zu fischen. Jetzt ist er „2. Bürgermeister“. - Meinen Dezem will ich mir abmessen lassen. Die Leute betrügen gern, wo sie merken, daß man gutmütig ist.

11. November 1915

Ich treffe Schuster Kühel, der nach Tanna unterwegs ist. Seine Arbeit geht gut. Er hat noch Ledervorrat, darum kann er die Sohlen billiger machen. Bald ist aber sein Vorrat zu Ende, dann wird’s teurer. Er war in seiner Heimat in Böhmen. Seine drei Brüder sind schon gefallen. Er selbst war einige Wochen eingezogen, dann aber wieder entlassen. In Böhmen sei die Teuerung viel schlimmer. Eine Familie hätte vier Tage lang kein Brot gehabt. Alles wäre so teuer. Bei einem Händler wären viele Zentner Reis gefunden, das wäre natürlich gleich beschlagnahmt. Solche Kunden benutzen die Zeit, um das Volk auszusaugen.

Dann bei Gustav Sippel. Wir sprachen über die Wucherpreise für Schweine. Er hätte uns das Schwein vor einem Jahr mit 45 Pfennig das Pfund verkauft, jetzt kostet es 1,50 Mark. Solche Steigerung sei ungesund! Einem Reichen mache es nichts aus, ob Fleisch 1, 2 oder 3 Mark koste, aber wie könne ein Armer dabei leben. Der Reichstag hätte nur darum nicht eher Höchstpreise festgesetzt, weil so viele Großgrundbesitzer drinsitzen. – In Syrau wollte ein Frau bei einer Bauersfrau 1 Stück Butter für 1,40 Mark haben. Sie hätte es nicht bekommen. Darauf sei eine andere gekommen, die hätte 1,60 Mark geboten, die hätte es erhalten. Das sei doch unerhörter Wucher! Daß die Bauersfrau kein Gefühl dafür hätte!

14. Dezember 1915

Frau Reuß kommt, äußert sich pikiert wie immer. Großvater ist empört, wie sie futtert und sich dicke Butter auflegt und dabei von der Butterknappheit redet.

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Bildcollage, li.: Wohnstube des Pfarrhauses Seubtendorf, im Hintergrund Marie Piper (geb. Kosbahn) um 1914, re.: Marie Piper (geb. Kosbahn) mit ihren Enkelinnen Ruth (li.) und Marianne (re.), im Hintergrund ihre Schwiegertochter Anne Piper, geb. Stiefelhagen. - Reproduktion: R. Piper © 2014

Pastor Pipers Tagebücher

Vor 100 Jahren, im August 1914, begann der 1. Weltkrieg. Wie hat sich die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" in einem kleinen Dorf in Deutschland abgespielt? Darüber geben die Tagebuchaufzeichnungen von Theodor Piper Auskunft, Pfarrer in der 200-Seelen-Gemeinde Seubtendorf.