- Meine Brüder - meine Schwestern

Vater, Mutter, Opa, Oma, Bruder, Schwester - sie alle gehören zur Familie, zumindest im christlichen Europa. In der muslimischen Welt wird der Begriff "Bruder" und "Schwester" wesentlich weiter ausgedehnt: Im Islam sind alle Menschen Geschwister. Eine Einstellung, die auch anderen gut tun würde, meint Inforadio-Kulturreporterin Judith Kochendörfer.

Seit 2 Jahren lebt Yazan in Falkensee bei Berlin. Von Damaskus ist er nach Deutschland geflüchtet, zusammen mit seinem Bruder. Seinem biologischen Bruder, müsste man dazu sagen. Denn wenn Araber "mein Bruder" sagen, dann meinen sie nicht ausschließlich ihre leiblichen Verwandten: "As Muslims, we have to act like brothers. So in Quran, we will read something that’s saying: wish for your brother like you wish for yourself. It doesn’’t mean: My brother from my mother. It’s my brother in Islam."

In der arabischen Welt - und auch in Israel - nennt man sich gern "Bruder" oder "Schwester". Muslime sollen sich wie Brüder behandeln, das sagt der Koran: "Wünsche für deinen Bruder, was du für dich selbst wünschst". Und so sind alle Muslime Brüder, und der Mann vom Späti redet seinen arabischen Kunden mit "Bruder" an, auch wenn er ihn nur vom Sehen kennt. Fällt einer Frau auf der Straße etwas aus der Tasche, wird ihr hinterhergerannt mit den Worten: "Schwester, du hast was verloren." Dabei werden "Bruder" und "Schwester"  nicht nur als Anrede gebraucht, sie stellen eine Beziehung her: "Let’s say: one woman: she had a problem, If I will tell her: 'I will help you my sister', in real deep meaning it means that if my sister had the same problem, I will do my best for my sister. It’s the same: that I will do the best for this woman as my sister."

Ein "Ich helfe dir, Schwester" hat viel mehr Nachdruck als ein simples "Ich helfe dir". Es drückt aus: "Ich helfe dir so, als würde ich meiner Schwester helfen."

Es gibt durchaus auch Muslime, die diese "Bruda"-Anrede ein bisschen peinlich und aufdringlich finden. Für mich, die Betrachterin von außen, steckt aber immer etwas liebevolles, verbindendes, Distanz abbauendes darin. Ich erinnere mich an die tausend Male, die ich schon mit Deutschen diskutiert habe, ob man nicht auf die Unterscheidung zwischen "Du" und "Sie" verzichten könne, wie etliche andere Länder es tun. Den meisten Deutschen ist das distanzierende "Sie" wichtig, weil es angeblich Respekt herstellt. Doch seit ich in Skandinavien meine Hochschulprofessoren geduzt und mit Vornamen angeredet habe, weiß ich: Distanz und Respekt haben nur scheinbar etwas miteinander zu tun. In Wahrheit ist Distanziertheit eben die Angst vor mangelndem Respekt.

Es will mir nicht in den Kopf, warum ausgerechnet Deutsche glauben, sich von anderen noch mehr distanzieren zu müssen als sie es ohnehin tun. Unsere Mitmenschen sind unsere Brüder und Schwestern - und je weniger wir es nötig haben, künstlich Distanz herzustellen, je wahrhaftiger wir uns den anderen zeigen, umso offener können wir auch werden für eines der schönsten mitmenschlichen Gefühle: für den wahren Respekt, für die wahrhafte Wertschätzung.

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In diesem Jahr hat sich im Adventskalender von rbb Inforadio alles um die Themen Familienbande, Familienkonstellationen und -traditionen gedreht. Bis Heiligabend hat sich jeden Tag ein neues Türchen für Sie geöffnet. Hier können Sie alle Beiträge noch einmal nachhören.