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Wie verbringen Flüchtlinge ihren Tag in der Unterkunft, wenn sie gerade mal keine Behördengänge zu erledigen haben? Inforadio-Reporter Oliver Soos ist dieser Frage nachgegangen, im ehemaligen Hotel President, in Berlin-Schöneberg. Bei seinem Besuch ist ihm aufgefallen, wie eng lebenslust und tiefer Frust manchmal beieinander liegen. Und wie tief die Gräben zwischen manchen Flüchtlingen ist.
Im Essensraum des Hotels Präsident ist eine Menge los. Flüchtlinge schieben Tische und Stühle zur Seite und bauen eine kleine Boxenanlage auf. Am Abend soll es hier eine Abschieds-Party geben, für eine Betreuerin die aufhört und nach Australien auswandert.
DJ ist Ahmad Abed Rabh, ein 24-jähriger Flüchtling aus Syrien: ein lässiger Typ, mit modischer Kurzhaarfrisur, gepflegtem Vollbart, Jeans und weißem Muscleshirt. Ahmad schließt sein Smartphone an die Anlage an. Er freut sich auf den Abend, sagt er, endlich mal was los im Heim: “Als ich hier im Hotel angekommen bin, war ich anfangs nur in meinem Zimmer. Das war sehr langweilig und deprimierend, auch weil ich ohne Familie hier bin. Aber jetzt geht es mir besser. Ich habe viele Leute kennengelernt. Heute Abend wollen wir ein bisschen tanzen, zusammen mit den Betreuern. So killt man die Langeweile.“
Zwei Afghaninnen erzählen
Vor dem Essensraum, im Flur, fallen mir zwei verschleierte afghanische Frauen auf. Sie stehen an der Wand und unterhalten sich. Ich frage ob ich kurz stören darf. Die Frauen lächeln und sind sofort offen für ein Gespräch: Samadi ist 39, Khadjije Hosseini 30. Was sie so den ganzen Tag machen, wie sie ihren Alltag verbringen, will ich von ihnen wissen. Samadi: "Ich mache nicht viel, weil ich mich auf nichts konzentrieren kann. Zu viele Sorgen. Mein Mann hängt noch auf der Fluchtroute fest. Ich habe eine Augenkrankheit, konnte aber noch nicht zum Arzt gehen. Das macht mich alles verrückt." Khadije: "Ich bin sehr beschäftigt, von früh bis spät. Erst kümmere mich um meine drei Kinder, dann helfe ich hier im Hotel mit: in der Küche und im Keller, beim Wäsche machen. Ich bin so ein Typ, ich brauche immer etwas zu tun. Außerdem übersetze ich viel für die anderen Flüchtlinge, weil ich eine der wenigen bin, die Englisch kann. Ich hatte Glück mit meinem Mann. Er ist sehr fortschrittlich und hat mich Englisch lernen lassen. Auch hier im Heim hilft er mir. Er putzt und nimmt mir oft die Kinder ab. Das ist außergewöhnlich, ich hatte Glück mit ihm."
Lebensbedrohliche Zustände in der Heimat
Mit ernster Miene gucken die beiden Frauen mich an und fragen, ob ich, als Journalist, helfen kann. Sie wissen nicht, ob sie in Deutschland bleiben dürfen. Im Heim habe sich herumgesprochen, dass viele afghanische Flüchtlinge abgeschoben werden sollen. Ich sage, dass ich nur weiß, dass die Bundesregierung bei Afghanen von Fall zu Fall entscheiden will und dass sie die Lage in Afghanistan als unsicher aber weitgehend ruhig einschätzt.
Samadi erzählt, dass sie aus Masar-e-Sharif kommt. Eine Stadt, die in der Tat als ruhig gilt, weil sie im Norden des Landes liegt. Die Taliban sind vor allem im Süden, an der pakistanischen Grenze, aktiv. Samadi: "Ich glaube, wenn sie mal nach Afghanistan gehen würden, würden sie es da keinen Tag aushalten. Sie haben ständig Angst um ihr Leben, überall im Land. Mein Mann ist Busfahrer und sein Bus wurde mehrmals von Taliban und von IS-Kämpfern gestoppt und durchsucht. Er hatte Glück, dass nichts passiert ist. Jeden Tag gibt es irgendwo einen Anschlag und das war der Grund, warum wir geflohen sind." Khadije Hosseini sagt, dass sie keine Wahl hat. Zurückkehren würde für sie und ihre Familie den sicheren Tod bedeuten. In ihrer Heimatregion hätten Taliban viele Schiiten ermordet.

Konflikte mit Syrern
Während wir weiterreden, bildet sich eine kleine Menschentraube um uns. Immer wieder bleiben afghanische Flüchtlinge stehen und hören kurz zu. Ein Mann will mir etwas mitteilen, ohne Mikrofon. Er sagt, dass es nicht nur Deutsche gibt, die an den Fluchtmotiven der Afghanen zweifeln, auch viele Syrer hier im Heim würden das tun. Sie würden sich für die "einzig wahren Flüchtlinge" halten. Das finde ich interessant, da will ich nachfragen. Ich gehe zurück in den Essensraum, zum Syrer, Ahmad Abed Rabh. Er bestätigt es mir ganz offen: "Es gibt einige Syrer hier, die die Afghanen hassen. Man kann Afghanistan ja auch nicht mit Syrien oder mit dem Irak vergleichen, dort gibt es keinen Krieg. Warum kommen die hierher, bei denen passiert doch nichts."
Als Ahmad mir erzählt, dass seine Familie noch in Syrien lebt, hake ich ein: Da könne man doch auch fragen, warum er denn hierhergekommen und nicht bei seinen Verwandten geblieben sei? Darauf hat Ahmed eine klare Antwort: "Ich würde sterben wenn ich zurückgehe. Ich habe mein Studium beendet und würde sofort in die Armee eingezogen werden. Und dann müsste ich für Assad kämpfen. Und gegen wen? Vielleicht gegen meine Freunde, gegen meine Nachbarn. Ich kann niemanden töten. Aber wenn du dich weigerst, dann lässt dich dein Vorgesetzter töten."
Getanzt wird dann doch gemeinsam
Die Gespräche machen mich nachdenklich. Es ist mühselig, als Außenstehender zu beurteilen, wie gut oder schlecht die einzelnen Fluchtgründe sind. Ich möchte nicht in der Haut der Asylentscheider des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge stecken.
Die Musik setzt ein, die Party beginnt. Schnell sind hundert Flüchtlinge im Essensraum und tanzen wild zu arabischer Musik. Die Kinder klatschen und johlen, mittendrin Kristina, die Betreuerin, die nach Australien geht. Sie wird immer wieder in die Mitte geholt, um eine Polonaise nach der anderen mitzutanzen. Ganz schön anstrengend, doch sie nimmt`s mit Humor. Ahmad Abdh Rabh wählt die Lieder mit seinem Smartphone aus, um dann selbst auf der Tanzfläche die Stimmung anzuheizen. Zwischenfrage von mir: "Ich sehe die Leute hüpfen hier wie verrückt. Sind Syrer echte Partylöwen?" Ahmad: "Ja, das ist eine typische syrische Party, Dabke heißt der Stil - sehr traditionelle Musik. Der Weg nach Deutschland war hart für uns. Wenn man tanzt, dann hat man ein gutes Gefühl. Man verdrängt nicht alles dadurch, aber ein paar unangenehme Erinnerungen, die kann man vergessen."
Mir fällt auf, dass Syrer und Afghanen, die sich offenbar oft kritisch beäugen, beim Tanzen prima miteinander harmonieren und zusammen Spaß haben. Da scheint es dann völlig egal zu sein, wo man herkommt.