Das vernetzte Ich - "Fast wie eine normale Hand"
Das "vernetzte Ich" hat sich daran gewöhnt, dass das Handy Teile des Gedächtnisses und das Navi Teile des Orientierungssinnes übernimmt. Aber der Tastsinn, wenn man etwa einen Arm verliert? In Zukunft kann die Vernetzung von Gehirn und einer Prothese auch das. In der Schweiz testete ein Patient erfolgreich einen Prothesen-Prototyp, mit dem er wieder tasten kann. Wie unser Schweizer Korrespondent Karl Dietrich Mäurer berichtet, war der Patient von der "fühlenden Roboterhand" begeistert.
"Es war so erstaunlich. Plötzlich spürte ich, was ich seit neun Jahren nicht fühlen konnte. Wirklich cool!" Was Dennis Aabo Sørensen in einem Interview mit der Technischen Hochschule ETH Lausanne beschreibt, klingt wirklich erstaunlich. Der Immobilienfachmann aus Dänemark hatte bei einem Feuerwerksunfall seine linke Hand verloren. In Lausanne wurde an ihm eine so genannte bionische Prothese erfolgreich getestet. Eine Prothese, die er selbst mit Gedanken steuern konnte und mit deren Hilfe er Dinge ertasten konnte: "Ich konnte runde Dinge fühlen, harte Dinge, weiche Dinge. Das Gefühl war für mich total neu und bei Bewegungen konnte ich wirklich wieder spüren, was ich da eigentlich tat."
Dennis Aabo Sørensen war der erste Patient weltweit, an dem eine Prothese ausprobiert wurde, die weiß, wie stark sie zupacken muss. Zwei Jahre ist das jetzt her. Entwickelt wurde die künstliche Hand mit Tastsinn an der ETH Lausanne von einem Forscherteam um den Neuroingenieur Silvestro Micera. Der Italiener lächelt und sagt: das angewendete System sei ganz einfach. Die Prothese nutze die gleichen Kanäle, wie gesunde Menschen: "Wenn wir einen Gegenstand ergreifen wollen, dann schickt das Gehirn ein Signal an die Muskeln, die kontrahieren und dann haben wir die Bewegung von Arm und Fingern, um den Gegenstand zu ergreifen. Und die Nerven in den Fingern leiten wiederum Informationen an das Gehirn, über die eingesetzte Kraft und die Beschaffenheit des Objekts."
Silikon-Fingerkuppen senden elektronischen Impuls
Die Forscher der Hochschule in der Westschweiz haben eine Handprothese gebaut mit Fingerkuppen aus Silikon, die wiederum mit Sensoren ausgestattet sind. Bei Berührung senden Sie einen elektronischen Impuls. Die Herausforderung war, eine Verbindung zu schaffen zwischen Prothese und dem menschlichen Nervensystem. Operativ setzt man dazu extrem kleine Kontakte direkt an die Nerven des Armstumpfes des Patienten an - mit Hilfe feinster Nadeln, erklärt Silvestro Micera: "Mit der Nadel stechen sie den Nerv an, bohren ihn quasi auf, setzen die Elektrode an, dann ziehen sie die Nadel heraus und haben die Verbindung zur Außenwelt."
Die so implantierten Kontakte sind über Kabel und einen Computer mit den Sensoren der Prothese verbunden. Der Patient muss nun lernen, die richtigen Impulse vom Hirn an die Hand zu senden und umgekehrt die Signale der Hand richtig deuten. Im Versuch mit Testpatient Dennis Aabo Sørensen ging das schneller als gedacht: "Wir haben unseren Patienten die Augenverbunden und Kopfhörer aufgesetzt und dann sollte er Dinge ergreifen und die Form und die Beschaffenheit erkennen. Und er hat das ausgesprochen gut gemacht und vor allen Dingen nach dem gleichen Prinzip, wie gesunde Testpersonen."
"Ich würde so viel geben, um eine solche Hand zu bekommen."
So erfolgreich der Ansatz klingt, alltagstauglich ist er noch nicht. Schon nach 30 Tagen wurden deshalb dem Testpatienten die Elektroden wieder entfernt. Noch sind viele Fragen zu klären. Die derzeit noch große Technik muss so klein werden, dass sie in die Prothese passt. Die Elektroden müssen über Jahre funktionieren. Und es muss eine Datenübertragungstechnik gefunden werden, die die Kabel durch die Haut überflüssig macht. In fünf bis zehn Jahren ist man soweit - schätzt Silvestro Micera. Versuchspatient - Dennis Aabo Sørensen will dann unbedingt eine solche Prothese haben: "Ich würde so viel geben, um eine solche Hand zu bekommen."
Neuroingenieur Silvestro Micera denkt allerdings schon weiter. Die bei der Entwicklung der bionischen Prothesen gemachten Erfahrungen will er nutzen, um Querschnittsgelähmte zu heilen: "Bei gelähmten Menschen könnten wir im Prinzip die gleichen Elektroden implantieren, um mit ihnen die Muskeln zu stimulieren und so die Bewegungsfähigkeit zurückzuerlangen." Dazu soll schon bald in der Schweiz ein Projekt gestartet werden.