Vis à vis - Anschlagsopfer Yasin Güler: Heilung durch Vergebung
Nachdem er bei einem Messerangriff eines Islamisten schwer verletzt wurde, hat Yasin Güler aufgeschrieben, wie er zurück ins Leben fand und warum er dem Täter vergeben hat. Von Annekathrin Ruhose
Yasin Güler hat vor knapp zwei Jahren ein islamistisches Attentat in einem Duisburger Fitnessstudio überlebt – nur sehr knapp. Es war ein langer, mit Qualen verbundener Weg zurück ins Leben. Gesundheitliche und psychische Folgen bleiben. Die Bundesregierung hatte ihn jüngst zur offiziellen Gedenkfeier eingeladen. Solche Gelegenheiten findet Güler sehr wichtig:
"Das gibt zum einen den Opfern das Gefühl, gesehen zu werden und zum anderen gibt es den Opfern auch die Möglichkeit, sich mit anderen Opfern zu vernetzen und dementsprechend auch neue Perspektiven zu eröffnen. Es gab sehr viele Menschen an diesem Ort, die noch nicht wirklich mit den Anschlägen abgeschlossen hatten, die noch immer sehr leidgeplagt waren. Mit diesen Menschen konnte ich reden und vielleicht konnte ich ihnen die ein oder andere neue Perspektive eröffnen."
Güler: "Keinen interessiert, was diese Tat mit den Opfern gemacht hat"
Laut Güler gibt es noch immer ein Problem in der Berichterstattung über Terrorakte: "Ich habe das Gefühl, dass immer mehr über die Täter solcher Anschläge berichtet wird, aber kaum über die Opfer. […] Woher kam der Täter? Hat die Integration versagt? Haben die Behörden versagt? Das interessiert jeden. Aber keinen interessiert es, was diese Tat mit den Opfern gemacht hat."
Er plädiert dafür, Brücken zwischen der Gesellschaft und den Opfern zu bauen, "damit die Opfer auch signalisiert bekommen, dass die gesamte Gesellschaft solidarisch hinter diesen Opfern steht und dass es nicht nur darum geht, bestimmte politische Ideologien zu bedienen." Immerhin sei es schon ein Fortschritt, dass es jetzt einen Bundesbeauftragten für Angelegenheiten von terroristischen Opfern gebe.
Vergebung – "nicht weil er sie verdient, sondern weil ich sie verdiene"
Von persönlicher Rache und politischen Abgrenzungsdiskussionen hält Güler nichts. Im Gegenteil: Sein Buch über das Leben nach dem Attentat heißt: "Vergeben statt vergelten – Warum wir Perspektiven gegen Gewalt brauchen". Im Gerichtssaal, als er seinem Angreifer gegenübersaß, sei ihm etwas klar geworden:
"Ich habe dem Mann in die Augen geblickt und nur eine leblose Hülle voller Hass gesehen. Und das war der Moment, in dem mir klar wurde: Diesem Hass darfst Du nicht erliegen. Du darfst diesen Teufelskreislauf nicht fortsetzen. Und deswegen habe ich ihm vergeben und nicht, weil er diese Vergebung verdient, sondern weil ich diese Vergebung verdiene. […] Und ich konnte erst heilen, als ich damit abgeschlossen hatte."
Im Vis à vis mit Annekathrin Ruhose erzählt Yasin Güler, wie er das Attentat erlebt hat, wie schwer sein Weg zurück ins Leben war, was das mit ihm gemacht hat und wie es sein Leben letzten Endes sogar zum Positiven verändert hat.