Blick auf den Kreml in Moskau mit Hochhäusern im Hintergrund.
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Vis à vis - Warum bleibt Russland eine Diktatur, Herr Behrends?

Warum konnte sich die Demokratie nach dem Ende der Sowjetunion nicht durchsetzen? Dazu forscht der Historiker Jan Claas Behrends an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Von Andreas Oppermann

Wie kann man erklären, dass Russland nach einer Diktatur unter Stalin zu einer Diktatur unter Putin zurückkehrt? Diese Frage beschäftigt den Historiker Jan Claas Behrends. Er ist Inhaber der Professur für Diktatur und Demokratie an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder). Außerdem forscht Behrends am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam zur Diktatur- und Gewaltforschung in Russland und Osteuropa.

Behrends: Repression erinnert an sowjetische Zeiten

 

Eine Demokratie war Russland nie, aber in den 1990er Jahren ein deutlich freieres Land als heute, betont Behrends. "Es war ein relativ freies Land, wo man seine Meinung äußern konnte, wo es auch ganz unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen gab und Parteien und Vorstellungen über die Zukunft des Landes, und wo nicht ein Mann alle Fäden in der Hand hatte", sagt der Historiker. Das habe sich geändert. "Die Repression, die wir jetzt sehen, die erinnert an dunkelste sowjetische Zeiten."

Eine mögliche Erklärung, warum Wladimir Putin die absolute Macht erringen konnte: Sieben Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft seien ein schwereres Erbe, als zunächst angenommen, sagt Behrends. "In den 90er Jahren dachte man, dass man ähnlich wie in Spanien, Portugal oder Griechenland dann doch relativ schnell zu einer offenen Gesellschaft und Demokratie übergehen kann." Das sei aber nicht passiert. Die russische Gesellschaft sei deutlich autoritärer geprägt als in den Vergleichsländern.

Der Westen hat seinen Einfluss auf Russland überschätzt

 

Dazu komme, dass die Streitkräfte nie reformiert wurden, sagt Behrends. "Das blieb so eine Art Staat im Staate, der auch selbst sehr autoritär und gewalttätig strukturiert ist." Das zeige sich auch jetzt im Vorgehen des russischen Militärs im Angrifsskrieg gegen die Ukraine.

In Deutschland habe man ein idealisiertes Bild von Russland unter Gorbatschow gehabt. "Da glaubte man dann gerne, dass die russische Politik auch irgendwie auf dem richtigen Weg sei", sagt Behrends. An dieser Erzählung habe man bis zuletzt festgehalten. Der Westen habe auch seinen eigenen Einfluss überschätzt. "Man hat geglaubt, wenn man nur das Gas kauft, wenn man nur weiter freundlich ist, wenn man den Putin mal einlädt nach Berlin, dass dann alles schon nicht so schlimm werden wird."