Vis à vis - Soziologe: Fokus auf muslimischen Antisemitismus irreführend
Seit dem Massaker der Terrororganisation Hamas und der israelischen Gegenoffensive gibt es hierzulande eine starke Zunahme antisemitischer Straftaten. Viele Delikte gab es bei pro-palästinensischen Demonstrationen in Berlin. Soziologe Klaus Holz betont allerdings, dass es Antisemitismus in allen Bereichen der Gesellschaft gebe.
Mehr als 1100 antisemitische Straftaten wurden in Deutschland im Zusammenhang mit der Eskalation des Nahost-Konflikts gezählt. Insbesondere in Berlin fühlen sich Juden bedroht. Auf pro-palästinensischen Demonstrationen wurden immer wieder antisemitische Parolen gerufen, jüdische Einrichtungen bedroht. Soziologe Klaus Holz sagt, wir müssten den Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem sehen.
"Den Fokus immer nur auf den migrantischen und muslimischen Antisemitismus in der Öffentlichkeit zu setzen, das ist eben systematisch irreführend und adressiert gerade nicht das Gesamtproblem." Natürlich gebe es Antisemitismus unter Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben. Durch die Demonstrationen erreiche diese Form eine große öffentliche Aufmerksamkeit.
Holz: Eklatantes Antisemitismus-Problem im Umfeld der AfD
Weniger im Fokus stehe derzeit Antisemitismus aus dem rechten Spektrum. Doch gerade dort gebe es ein eklatantes Problem damit, insbesondere im Umfeld der AfD, so Holz. Studien würden bereits seit vielen Jahren zeigen, dass antisemitische Einstellungen im gesamten politischen Spektrum zunehmen. Dabei sei aber klar erkennbar: "Die Wählerschaft der AfD hat wesentlich höhere Werte in Sachen Antisemitismus als etwa die der SPD."
Auch im linken Spektrum gebe es Antisemitismus. In den USA beispielsweise sei der aber wesentlich stärker verbreitet als in Deutschland. Das zeige auch die klare Abgrenzung der hiesigen Sektion von Fridays for Future von Äußerungen etwa von Greta Thunberg, sagt Soziologe Holz, der sich in Büchern und Artikeln mit der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland befasst hat.
Debattenräume öffnen
Aus Sicht des Experten ist es ein Problem, dass zurzeit sehr repressiv über das Thema diskutiert werde. Man müsse Debattenräume öffnen, in denen auch mal etwas Falsches gesagt werden könne. Palästinenserinnen und Palästinenser in Berlin, die nicht mit der Hamas sympathisieren, aber sich mit den Menschen vor Ort solidarisieren wollen, seien zwischen die Stühle geraten. Dieses Dazwischen sei in der gegenwärtigen zugespitzten Debatte nicht mehr verhandelbar. "Das ist für Aufklärung, Bildung, für eine Debattenkultur natürlich eigentlich sehr sehr schädlich."