Symbolfoto Fürsorge am Krankenbett
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Vis à vis - Sterbehilfe: "Ich entscheide, wann mein Leben zu Ende ist"

Seit 2020 ist der ärztlich begleitete Freitod in Deutschland erlaubt. Doch im Bundestag gibt es starke Stimmen, die den assistierten Suizid wieder unter Strafe stellen wollen. Für Michael Richter ist das schwer nachvollziehbar. Er hat Multiple Sklerose und kämpft für das Recht, freiwillig aus dem Leben zu gehen. Von Matthias Bertsch

Dieses Vis à vis ist eine Wiederholung. Die Sendung erschien erstmals im Juni 2023.

"Die Selbstbestimmung über das eigene Lebensende gehört zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen, in dem er frei ist, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu entscheiden." Mit diesen Worten hat das Bundesverfassungsgericht vor gut drei Jahren Geschichte geschrieben. Die im Grundgesetz verankerte Würde und das Persönlichkeitsrecht des Menschen umfassen also das Recht auf selbstbestimmtes Sterben - auch mit Hilfe Dritter.

Seitdem wird im Bundestag heftig über eine gesetzliche Regelung diskutiert. Einen Dammbruch zur kommerziellen Sterbehilfe fürchten die einen, die anderen wollen kranken Menschen die Tür öffnen.

Michael Richter: "Ich werde nicht ein langwieriges Sterben haben"

 

Michael Richter ist ein Betroffener. Der 60-Jährige hat Multiple Sklerose, sitzt seit Jahren im Rollstuhl und kann sich immer weniger bewegen. Er ist eines von gut 20 000 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben und ist bereit, freiwillig aus dem Leben zu gehen.

"Die Entscheidung, den Tod freiwillig zu wählen, ist doch ein Höchstmaß an Selbstbestimmung, meinem Empfinden nach", sagt Richter. "Weil ich entscheide, wann mein Leben zu Ende ist. Ich bestimme, wann und wie der Tod mich ereilt. Ich werde nicht ein langwieriges Sterben haben."

Porträt von Michael Richter
Michael RichterBild: Jutta Rüschoff

Hintergrund

Die Hilfe bei der Selbsttötung - der sogenannte assistierte Suizid - ist eine besondere Form der Sterbehilfe, die sich in einer rechtlichen Grauzone bewegt. Erlaubt oder sogar geboten ist in Deutschland die passive oder indirekte Sterbehilfe durch das Abschalten von Geräten oder Zulassen von Sterbefasten. Explizit verboten ist dagegen die Tötung auf Verlangen, bei der ein tödlich wirkendes Medikament durch einen Dritten verabreicht wird.

Beim assistierten Suizid nimmt der Sterbewillige das Mittel selbst ein. Weil die Selbsttötung nicht verboten ist, ist auch die Hilfe dabei grundsätzlich erlaubt. Sie wird aber ethisch und moralisch unterschiedlich beurteilt. Der Bundestag diskutiert daher über eine Möglichkeit der Regulierung der Assistenz beim Suizid, zumindest wenn jemand sie organisiert - im Fachjargon "geschäftsmäßig" - anbietet, etwa private Sterbehilfeorganisationen.

Ein früher geltendes explizites Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe bei der Selbsttötung hatte das Bundesverfassungsgericht 2020 kassiert. In der Folge hat auch die Ärzteschaft ihr Standesrecht geändert, das Ärzten nun die Verschreibung von Mitteln auch zum Zweck der Selbsttötung erlaubt. Das Betäubungsmittelgesetz verbietet das allerdings weiterhin.

Im Bundestag herrscht weitgehende Einigkeit, dass das geändert werden soll, auch wenn es über die Regeln und Bedingungen für einen explizit erlaubten assistierten Suizid ansonsten unterschiedliche Auffassungen im Parlament gibt. - epd

Auch auf rbb24inforadio.de

Das Schlafmittel Pentobarbital wird zuhause von Sterbewilligen eingenommen.
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rbb Praxis - Gesetz zur Suizidhilfe naht

Vor 3 Jahren erklärte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der organisierten Sterbehilfe für verfassungswidrig. Seitdem dürfen zum Beispiel Ärzte Sterbewillige unterstützen, indem sie ihnen entsprechende Medikamente besorgen. Die Politik will die Suizidhilfe nun zeitnah gesetzlich regeln. Von Anna Corves