100 Sekunden Leben - Die Last weicher verteilen
Kolumnistin Doris Anselm wollte sich diese Woche eigentlich verstecken: hinter irgendeinem lustigen, vorproduzierten Reserve-Beitrag. Denn was sie wirklich beschäftigt, sind die Amokläufe von Mannheim. Aber vielleicht ist drüber reden doch besser?
Amokläufe gehören hier nicht rein. In diese kleine Kolumne, die oft versucht, ein Lächeln zu erzeugen. Andererseits: In unser kleines Leben gehören Amokläufe genau so wenig. Und trotzdem tragen wir mit uns herum, was passiert ist. Was den Menschen in Mannheim nun schon zweimal in kurzer Zeit passiert ist.
Ich spüre den ekligen Wunsch, mehr Schuldige zu finden, um die Last aus Wut und Trauer weiter zu verteilen. Ich fange an mit giftigen Vergleichen: Wem wird eigentlich ein "politischer Hintergrund" bescheinigt? Wird der Islamisten-Schein leichter ausgestellt als der Nazi-Schein? Und wird der Psycho-Schein nur ausgestellt für Täter, die irgendwann mal Zugang hatten zur Behandlung, weil das dann irgendwo steht?
Ist es mir vielleicht sogar egal, ob eine Amoktat als "psychisch" oder "politisch" gelabelt wird, weil jemand, der friedliche Menschen überfährt oder ersticht, für mich immer auch psychisch krank ist? Und wenn Amokläufer fast immer vereinsamte, verhärtete, sich erniedrigt fühlende Männer sind, warum scheint ausgerechnet dieser einigende Faktor so unlösbar? Während man sonst noch die abwegigsten Präventionsmethoden in Erwägung zieht?
Was bedeutet es für künftige Gewalttaten, dass wir vielleicht gerade auf dem Weg zurück sind in eine sehr viel militaristischere Gesellschaft, die überall Härte fordert? – Ich weiß es nicht. Ich weiß es auch nicht "besser", wie das sonst oft Brauch ist in Kolumnen. Und darüber will ich eigentlich reden. In einem guten Gespräch darf man Schwäche zeigen. Eine Kolumne ist Teil des öffentlichen Gesprächs. Lässt sich darin die Last von Wut und Trauer vielleicht "weicher" verteilen, statt nur weiter? Und könnte das dann womöglich sogar ein kleiner Teil von Prävention sein?