Popcorn in Großaufnahme
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100 Sekunden Leben - Seelisches Übersprungsknuspern

“Popcorn-Kino”: So bezeichnen Cineasten leicht verächtlich Unterhaltungsfilme. Am Donnerstag beginnt die Berlinale, und auch dort ist der Puffmais mal wieder verpönt. Sehr zu Unrecht, findet Kolumnistin Doris Anselm.

Das Popcorn ist wesentlich älter als das Kino, mindestens 5000 Jahre. Allein das rechtfertigt ja wohl einen gewissen Respekt. Außerdem glaubten amerikanische Ureinwohner, dass das Knallgeräusch der empörte Aufschrei eines kleinen Geistes ist, der verärgert über die plötzliche Hitze aus seinem Ein-Zimmer-Maiskorn-Apartment entweicht. Die Gefühle müssen irgendwohin. Das gilt auch beim Filmegucken. Ich wette, bald finden Psychologen raus, dass das aufgeregte Übersprungsknuspern im Kino die Seele im Gleichgewicht hält. Dann wär aber was los bei unseren Internationalen Filmfestspielen.

Fairerweise muss man sagen, dass das Popcorn dort gar nicht aus schnöseligen Cineasten-Gründen verbannt wurde, sondern aus praktischen: Man hätte sonst bei dem engen Film-Zeitplan die Kinos zwischendurch nicht pünktlich saubergekriegt, hat Ex-Chef Dieter Kosslick mal erzählt. Die aktuelle Chefin, Tricia Tuttle, hat zwar als junge Frau selbst Popcorn im Kino verkauft, aber an der weitgehenden No-Popcorn-Policy bei der Berlinale nichts geändert.

Im Normalbetrieb der meisten Kinos finanziert inzwischen oft das teure Popcorn den ganzen Laden – mehr als die Eintrittskarten. Einen tollen Film ÜBER Popcorn gibt’s übrigens auch schon: Vor ein paar Jahren richteten Wissenschaftler zum ersten Mal Hochgeschwindigkeitskameras auf den Puffmais. Und stellten fest, dass den Körnchen beim Platzen ein Bein wächst, ein Bein aus Stärke, mit dem sie aufstampfen und sich hochkatapultieren, während es sie zerreißt. Rumpelstilzchen lässt grüßen. Da lagen die Ureinwohner mit ihrem Popcorn-Geist gar nicht so falsch. Der Rest der explodierenden Stärke aus dem Korn erstarrt dann beim Abkühlen in der Luft. Wolken zum Knuspern – das ist doch wohl poetisch genug für die große Leinwand.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.