100 Sekunden Leben - Kommt ein Busfahrer geflogen
Unser Kolumnist Thomas Hollmann hatte im Grunewald ein ungewöhnliches Erlebnis. Und das hat sein Weltbild nachhaltig erschüttert.
Ich mag etwas verloren dagestanden haben, dort an der Havelchaussee, zwischen all den kahlen Bäumen, das Vorderrad meines Rennrades in der Hand. Aber dass deshalb gleich ein Bus anhält, die Tür aufgeht und der Fahrer fragt, ob er mich und mein Rad bis zur S-Bahn mitnehmen soll, das fand ich bemerkenswert. Ist es doch verboten, sein Fahrrad in den Bus zu nehmen, erst recht ohne Fahrschein.
Da würde er jetzt mal eine Ausnahme machen, meinte der Mann. Er sehe ja, dass ich Hilfe brauche. Die brauchte ich tatsächlich, hatte sich doch ein Eisendorn in den Mantel gebohrt, der derart spitz und winzig war, dass ich den mit meinen klammen Fingern nicht zu greifen bekam. Also fragte ich den Fahrer, eher aus Spaß, ob er eine Zange dabeihabe.
Klar habe er eine Zange dabei, antwortete er, holte hinter seinem Sitz einen kleinen Werkzeugkasten hervor und schwang sich, mitsamt des Kastens, heraus aus dem Bus. Und mit vereinten Kräften und der Zange schafften wir es tatsächlich, den Dorn herauszuoperieren.
"Da isser", stellte der Busfahrer fest, der möglicherweise ein Engel war, jedoch keine Flügel hatte. Jetzt müsse er aber weiter, meinte er noch, ehe er im Bus wieder verschwand, die Tür schloss und zum Abschied nochmal freundlich hupte.
Und da stand ich da: ratlos und restlos erstaunt. Hatte mir da gerade wirklich ein Berliner Busfahrer geholfen und dabei gegen vermutlich ein halbes Dutzend Verhaltens- und Sicherheitsregeln verstoßen? Oder war das nur ein Traum? Ich piekste mir mit dem Eisendorn in die Hand. Kein Traum, das tat echt weh. Aber mehr schmerzte mich noch, dass mein Weltbild zerstört war. Ich meine, damit muss man erstmal klarkommen, dass ein Berliner Busfahrer ein wirklich guter Mensch sein kann.