Spargelgericht (Bild: picture alliance/Alfred Nesswetha/Shotshop)
picture alliance/Alfred Nesswetha/Shotshop
Bild: picture alliance/Alfred Nesswetha/Shotshop Download (mp3, 3 MB)

100 Sekunden Leben - Feinstaub, radioaktiver Spargel und andere Katastrophen

Die Luft in Berlin und Brandenburg ist besser geworden. Der Westwind und der Schneefall haben die Feinstaubbelastung gesenkt. Aber unserem Kolumnisten Thomas Hollmann hängt die Smogwoche noch nach.

Als ich am Mittwoch am Scharmützelsee war und der mir friedlich entgegenglitzerte, dachte ich: Wie schön. Okay, die Sonne hatte einen leichten Gelbstich und das Wasser etwas Abwesendes. Aber schön war‘s trotzdem. Und da ist mir mal wieder bewusst geworden, dass man manche Gefahren einfach übersieht. Und nicht nur den unvermittelt nach links ziehendem Sattelschlepper. Klar, Feinstaub übersieht man schon deshalb leichter, weil der unsichtbar ist. Und ein Sattelschlepper wirkt sich viel unmittelbarer auf die Gesundheit aus. Aber spaßen soll man mit dem Staub trotzdem nicht. Sagt das Umweltbundesamt.

Mit Radioaktivität natürlich noch weniger. Denn die ist ganz und gar unsichtbar. Davon wird die Sonne kein bisschen gelber. Und daran musste ich denken, dass ich damals, als Tschernobyl hochging, Volontär bei der Rhein-Neckar-Zeitung war. Da hatten alle Angst. Vor allem die Schwetzinger Spargelbauern, die befürchteten, auf ihrer Ernte sitzen zu bleiben. Also veranstalteten die Bauern einen Pressetermin, zu dem ich hingeschickt wurde. Wahrscheinlich, weil ich keine Kinder hatte.

Der Pressetermin war ein opulentes Spargelessen, an dem mehrere Vertreter der baden-württembergischen Landesregierung teilnahmen und zu dem auch die anwesenden Journalisten eingeladen waren. Und da saß ich da und musste ich entscheiden: Hatte ich es hier mit einer radioaktiven Gefahr zu tun oder mit einer kulinarischen Gelegenheit? Ich hätte den Teller als bäuerlich-behördlichen Bestechungsversuch zurückgehen lassen können, aber das habe ich nicht getan. Und tatsächlich wurde mir nie besserer Spargel serviert als an diesem eigentlich recht schönen Tschernobyl-Tag.

Daran musste ich denken, am Mittwoch, am Scharmützelsee, inmitten all des Feinstaubs, dass ich schon mal Nutznießer einer nuklearen Katastrophe war.

Auch auf rbb24inforadio.de

100 Sekunden Leben
rbb

100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.