100 Sekunden Leben - Illegal geerntetes Polarlicht
Klimawandel, Bienensterben, Nitrat im Grundwasser: Die Zerstörung der Natur ist schrecklich real. Doch jetzt hat Kolumnistin Doris Anselm einen Umweltskandal von unglaublichem, ja kosmischem Ausmaß entdeckt – und das mitten in der Drogerie.
Ich mag Badesalz. Am liebsten mit exotisch-poetischen Inhaltsstoffen. Indisches Melissenöl? Winterwacholder? Ja bitte! Bei meinem letzten Drogerie-Einkauf aber ging mir die Sache zu weit. Schockiert las ich auf dem Badesalztütchen, das Produkt enthalte "Polarlicht-Extrakt"! Mein Gott, dachte ich. Jetzt treibt der Mensch also auch schon Raubbau an bunten Himmels-Erscheinungen. Oder gilt Polarlicht als nachwachsender Rohstoff?
Mir ist jedenfalls unwohl dabei, das Zeug aus der Atmosphäre abzuschöpfen. Oder wie auch immer das gepflückt wird, vermutlich von illegalen finnischen Erntehelfern mit sehr langen, schlecht abgesicherten Leitern. Laut meiner Recherche wären wir ohne Polarlicht ziemlich schnell kosmisch verstrahlt, oder dahingerafft vom Sonnenwind. Richtig übel wurde mir, als ich dann noch herausfand, dass Polarlicht inzwischen offenbar auch schon für blausilbernen Lidschatten und Kuchenstreusel eingesetzt wird.
Aus rein wissenschaftlichen Gründen habe ich das Badesalz dann aber trotzdem gekauft. Enttäuschend. Keine bunten Wirbel in der Wanne. Das Wasser färbte sich, Entschuldigung, pissgelb. Zum Glück war der Geruch nicht entsprechend. Mehr so nach Zimt und Orange. Während ich auch mich selbst ins Wasser gleiten ließ, drehte ich das Tütchen um und entdeckte eine Fußnote (!) bei den Inhaltsstoffen. Polarlicht-Extrakt, so nennt der Hersteller demnach schlicht einen "Auszug aus nordischen Pflanzen".
Also, wenn Orange und Zimt "nordisch" sind, ist Polarlicht mediterran. Ich war trotzdem erleichtert: Mein Badesalz ist kein Teil der Naturzerstörung! Die zu erwartenden Proteste können sich nunmehr ganz auf blauen Lidschatten konzentrieren. Der sieht ja auch schon aus wie eine Umweltkatastrophe.