100 Sekunden Leben - Der schwierige Abschied von textilen Altlasten
Nun ist das neue Jahr schon nicht mehr ganz so neu. Aber unser Kolumnist Thomas Hollmann kriegt seinen guten Vorsatz einfach nicht umgesetzt, sich von textilen Altlasten zu befreien.
Ich habe eine senfgelbe Cordhose. Die ist derart senfgelb, dass selbst Harald Juhnke, Gott hab‘ ihn selig, die nicht mehr anziehen würde. So vorgestrig und gelb ist die. Aber ich bringe es nicht fertig, die Hose wegzuschmeißen. Was ich als EU-Hosenträger ja jetzt eh nicht mehr darf. Aber ich mag die Hose auch in keinen Altkleidercontainer stopfen. Denn das wäre eine Art der Vergangenheitsflucht.
Muss ich den Senfcord früher doch einmal geliebt haben. Ansonsten wäre der am Hintern nicht so abgewetzt. Und da frage ich mich, was mich seinerzeit dazu bewogen hat, mein textiles Farbspektrum derart radikal zu erweitern? Ich weiß es nicht.
Wohl aber weiß ich, dass ich die Hose in einem Laden gekauft habe, der eigentlich gar kein Laden war, sondern ein mit englischen Teppichen ausgelegtes Schneiderei-Studio, das sich im ersten Stock befand. Man musste die Treppe hochgehen und klingeln. Die Frau, die öffnete, trug eine Dauerwelle und fragte, ob sie meinen Mantel abnehmen und mir eine Tasse Tee bringen dürfe. - Vielleicht habe ich ja deshalb die Hose gekauft, weil ich ein verkappter Snob bin und gerne adelig wäre.
Betrunken war ich jedenfalls nicht. Im Urlaub ist man das ja manchmal, weil der Caipirinha all inclusive ist und man deshalb schon mittags drei intus hat und glaubt, das Hemd mit den aufgedruckten Flamingos stehe einem. Leider kann eine derartige Wahrnehmungsverzerrung nicht als Entschuldigung anführen. Ich war bei der Anprobe stocknüchtern.
Vermutlich wird mir meine Senfhose ewig ein Geheimnis bleiben. Und ich fürchte, nicht das einzige. Ich habe letztens im Ausverkauf eine Cordhose gekauft - in Weinrot.