100 Sekunden Leben - Mordwaffe: Rohrzange
In vielen von uns schlummern unerkannte Talente. Wenn ein Heizungs-Installateur plötzlich seine schriftstellerische Ader entdeckt: schön! Aber was, wenn’s umgekehrt läuft? Kolumnistin Doris Anselm hat mit ihrer neuen Leidenschaft Probleme.
Ist man von Beruf Autorin, tut man gut daran, das Schreiben interessant zu finden. Erheblich weniger beruflichen Nutzen bringt einem nämlich in dieser Branche die Begeisterung für, beispielsweise, Sanitär-Installation. Doch genau von dieser werde ich seit einigen Wochen völlig übermannt. Und das kam so.
Die Heizung wollte nicht ganz so wie ich. Weder half Entlüften, noch war das Problem dramatisch genug, um einen Fachbetrieb zu überzeugen, mich noch in diesem Jahrzehnt zu besuchen. Also war ich auf mich gestellt. Auf mich und YouTube. Ich liebe unsere narzisstische Gesellschaft, wo sogar Sanitär-Installateure Social Media machen. Man muss ein bisschen auf Mansplaining stehen, aber dann: hui!
Innerhalb einer Woche absolvierte ich so etwas wie ein Heizungsbauer-Praktikum im Home-Office und lernte Dinge wie: "Pro 10 Meter Haushöhe 1 bar Druck im System" oder die Tatsache, dass man ohne hydraulischen Abgleich dauernd Energie verschwendet. Derlei Fakten sind besonders faszinierend, wenn man zuvor niemals auch nur von der Existenz eines hydraulischen Abgleichs geahnt hatte.
Und ja: Die Sache klappte. Vor Stolz und Freude kann ich seitdem öfters nicht einschlafen und muss wie ein Kind am Weihnachtsabend nochmal aufstehen, zurück ins Wohnzimmer tapsen und den Heizkörper ein letztes Mal aufdrehen. Jawoll: warm. Weil ich es hingekriegt hab.
Nur hat seitdem die Begeisterung für meinen eigentlichen Beruf erheblich nachgelassen. Ich stehe vor der Wahl: Entweder biete ich meine Hobby-Heizungsbauer-Dienste auf ebay an, oder ich schreibe einen Krimi, in dem die Mordwaffe eine Rohrzange ist. Das Alibi: Fernwärme. Ein wahnsinniger Serien-Entlüfter treibt sein Unwesen. Sogar den Titel habe ich schon: Der Thermostat-ort.