100 Sekunden Leben - Frühstückskiffer
Seit bald einem Dreivierteljahr dürfen die Leute hierzulande kiffen. Am 1. April wurde der Cannabis-Konsum legalisiert. Kolumnist Thomas Hollmann stellt fest, dass das neue Gesetz gut angenommen wird.
Als Radfahrer komme ich viel rum in der Stadt und bin dabei draußen. Deshalb tauge ich als eine Art Messstation für den Berliner Cannabiskonsum. Aber die Gesundheitssenatorin pfeift auf meine Expertise und will nicht wissen, wie es sich mit dem hauptstädtischen Rauschmittelkonsum verhält. Aber weil ich nicht nachtragend bin, antworte ich deshalb ungefragt: Es vergeht kein Tag, ohne dass ich durch mindestens eine Haschisch-Wolke fahre. Meistens sind es fünf oder sechs.
Ich mache mir mittlerweile einen Ratespaß daraus: Rieche ich die Schwade, muss ich sagen, wer der Kiffer ist, der Typ auf der rechten Bürgersteigseite oder der auf der linken. Das ist gar nicht so einfach, verteilt sich so eine Haschischwolke doch in Windeseile. Und vielleicht ziehen ja auch beide Typen gerade einen durch. Das ist durchaus möglich - und war ja wohl der Sinn der Legalisierung, dass alle immer können.
Ob es auch die Absicht der Regierung war, die Leute noch vor dem Frühstück zu ihrem ersten Joint zu verhelfen, weiß ich nicht. Jedenfalls begegne ich Cannabis-Konsumenten mitunter schon auf dem Weg zum Bäcker. Für einen Feierabend-Joint ist das definitiv zu früh. Wobei ich mich frage, welchem Job so ein Frühstückskiffer überhaupt nachgehen könnte? Viele fallen mir da nicht ein. Irgendwie mache ich mir gerade Sorgen um unsere Volkswirtschaft.
Und um meine Gesundheit. Bin ich letztens doch an einer Baustelle vorbeigekommen. Davor standen vier Bauarbeiter, umhüllt vom süßlichen Duft. Keine Ahnung, ob alle vier gekifft haben. Aber im Zweifel reicht ein Verpeilter, der oben auf dem Gerüst seinen Zimmermannshammer fallen lässt.