Trübes Wetter über Berlin
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100 Sekunden Leben - Grau ist mehr als grau

Gestern hat hie und da nochmal die Sonne hervorgelugt, aber damit ist jetzt Schluss. Die kommenden Tage werden in Berlin und Brandenburg nass und vor allem grau. Unser Kolumnist Thomas Hollmann bekommt deshalb aber noch lange keinen November-Blues. Im Gegenteil.

Ich mag Grau. In eine Gerhard Richter-Ausstellung gehe ich nur wegen der grauen Bilder. An den bunten gehe ich vorbei. Die interessieren mich nicht. Die sind so offensichtlich. So rot und blau und gelb. Da sieht man gleich die Unterschiede. Bei Grau muss man schon genau hingucken, um zu erkennen, was richtig und was weniger grau ist. Grau ist auch eine Aufgabe. Und vornehm dazu. Mein elegantester Anzug ist grau.

Okay, das ganze Jahr über würde ich nicht unter einem Bleihimmel leben wollen. Zwischendurch darf es schon mal strahlen und leuchten. Aber auch nicht zu viel oder gar pink und rosa. Das wäre übertrieben. Ich habe die Sonne eh in Verdacht, eine Aufschneiderin zu sein. Wirft die Sonne doch mitunter Schatten, die fünfmal so lang sind wie man selbst. Da bin ich dann immer froh, wenn sich eine Wolke davorschiebt und diese Übertreibung beendet. Wie ich auch jenes allabendliche Schauspiel mag, wenn die Dämmerung die Welt verschleiert und ihr die Vielfarbigkeit nimmt - bevor die finstere Nacht kommt.

Grau ist immer auch eine Ahnung. Und ein Zwischending. Zwischen Schwarz und Weiß und Sex und angezogen. 50 Shades of Grey eben. Es gibt viele Erregungsstufen. Und nicht jedes Graubrot schmeckt gleich. Während Graue Wölfe gefährlicher sind als Graue Panther.

Apropos alt: Grey Divorce ist voll im Trend. Scheiden lassen über 50. Machen immer mehr. Wahrscheinlich, weil sich immer weniger wie eine graue Maus fühlen - oder wie eine Graugans. Aber bitte sehr, dagegen habe ich nichts. Sollen sich die Frauen - und meinetwegen auch die Männer – ihre grauen Haare ruhig färben. Solange es nicht pink und rosa ist.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.