Leeres Zugabteil
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100 Sekunden Leben - Es kommt ein Zug aus dem Nirgendwo

Unser Kolumnist Thomas Hollmann hat normalerweise mit dem Übernatürlichen wenig bis nichts am Hut. Doch am Wochenende ist er mit der Bahn gefahren – und jetzt glaubt er an Geisterzüge.

Ich habe es normalerweise nicht so mit dem Übersinnlichen. Und erst recht nicht mit Schlagern aus den 70er-Jahren. Aber als ich Samstagvormittag im Dresdner Bahnhof stand und die Ansage hörte, dass auf Gleis 5 der EC aus Prag nach Berlin einfährt, da wusste ich: Christian Anders hatte doch Recht: "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo, den es noch gestern gar nicht gab".

Wobei dieser EC nicht nach nirgendwo fuhr, sondern aus dem Nirgendwo kam. Meine Bahn-App zeigte den jedenfalls nicht an. Deshalb stand ich ja an Gleis 8. Weil dort gleich die Regionalbahn nach Elsterwerda abfahren würde, wo ich umsteigen müsste in den Regionalexpress.

An der Strecke Dresden-Berlin werde gebaut, teilte mir der DB-Navigator mit. Und dass der nächste durchgehende Zug erst um 15 Uhr verkehre. Aber warum rollte dann jetzt um 11 einer ein? Und würde ich das noch schaffen, von Gleis 8 zu Gleis 5 zu sprinten?

Als die Zugtür zuging und ich drinnen war, ohne kollabiert zu sein, stellte sich die nächste Frage: Wie bucht man ein Ticket für einen Geisterzug? "Buchen Sie einfach eines für den 15 Uhr-Zug", lautete der praktische Rat des Schaffners, der sich über das Geisterhafte seines Zuges offensichtlich wenig wunderte. "Die Technik spinnt halt manchmal."

Bei der Pressestelle der Deutschen Bahn konnte man das übersinnliche Phänomen auch nicht erklären. Nachträglich würde der 11 Uhr-EC im Navigator angezeigt, teilte man mir mit.

Und so bleibt von einem rätselhaften Geisterbahn-Wochenende am Ende nur ein Lied übrig. Und das ist wirklich schlimm. Seit Samstag kriege ich das nicht mehr aus dem Kopf. "Es fährt ein Zug nach nirgendwo, den es noch gestern gar nicht gab".

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.