100 Sekunden Leben - Wachablösung im Kühlschrank
Du bist, was du isst – besagt ein Spruch. Essen schafft Identität. Doch was, wenn zwischen dem Selbstbild beim Einkaufen und dem tatsächlichen Essverhalten eine Lücke klafft? Kolumnistin Doris Anselm über Alibi-Gemüse und Lebensmittelverschwendung.
Es gibt ja viele Arten von Horoskopen. Damit meine ich hier alle Konzepte, die aus beliebigen persönlichen Fakten weitreichende Charakterprofile oder Zukunftsprognosen errechnen. Zum Beispiel aus der Lieblings-Schlafposition, der Form der Ohrläppchen oder dem Abnutzungs-Muster am Lippenstift.
Eins fehlt jedoch bisher in der Riege der vielen "Sage mir, wie du Punkt Punkt Punkt, und ich sage dir, wer du bist"-Horoskope. Nämlich: Welches Lebensmittel kaufen Sie immer wieder, obwohl Sie es jedes Mal ungegessen wegwerfen? Ich habe dazu eine kleine Umfrage im Freundeskreis gemacht, und siehe da: Fast alle kennen dieses Phänomen.
Bei einem Freund ist es Salat. Er spricht inzwischen von einer regelrechen "Wachablösung" im Kühlschrank, wenn der den gammligen alten Salat wegwirft und den neuen reinlegt. So sehr glaubt mein Freund immer noch, dass er Salat essen würde.
Ich selbst hab das Problem mit Bananen. Super gesund, reich an Kalium und Magnesium, schnelle Sattmacher, unkompliziert zu essen. Ich tu’s nur einfach nicht. Im Ernstfall habe ich nie Appetit auf Bananen. Trotzdem halte ich mich für eine sportliche Bananenesserin. Inzwischen habe ich wenigstens einen Kompromiss gefunden zwischen Selbstbild und Tatsachen: Ich kaufe höchstens eine einzige Banane, und zwar nur, wenn das Wegwerfen der letzten mindestens zwei Wochen her ist.
Ich weiß, das ist immer noch Lebensmittelverschwendung, und die ist eigentlich kein Witz. Aber vielleicht bietet sich hier Raum zur Selbsterkenntnis: Sind Sie Tomaten-Totengräber? Apfel-Abserviererin? Oder besitzen Sie Tarnkappen-Tofu? Bestimmt sagt das jede Menge über Sie aus. Für das fertige Horoskop müssen Sie sich jetzt nur noch ausdenken, was.