100 Sekunden Leben - Kein Tag der deutschen Softeis-Einheit
Am Donnerstag war der Tag der deutschen Einheit. Unser Kolumnist wollte das mit einem gesamtdeutschen Softeis feiern. Das hat aber nicht geklappt. Von Thomas Hollmann
Vielleicht geht nicht nur die Liebe, sondern auch die Vaterlandsliebe durch den Magen, hatte ich mir überlegt und mich aufgemacht zur Gethsemanekirche. Denn dort gegenüber soll es das beste Softeis Berlins geben. Sagt mein in Mecklenburg geborener Kollege. Und der könnte das wissen, war Softeis in der DDR doch ein großes Ding. Was ich Wessi all die Jahre nicht wusste. Bis ich letztens in Greifswald war und dort an jeder dritten Ecke eines hätte kaufen können. Aber das Beste soll es, wie gesagt, gegenüber der Gethsemanekirche geben.
Also bin ich dorthin, wohl wissend, dass dies kein Tag des deutschen Einheitsgeschmackes werden würde. Meint mein Mecklenburger Kollege doch, Softeis sei nur dann gut, wenn es eher fest und weniger süß sei. Für mich kann es dagegen nicht soft und sweet genug sein. Da unterscheiden sich offensichtlich die Geschmäcker. Und da kommen Ost und West auch nicht zusammen. Sind Geschmäcker doch kindlich geprägt und wohlige Gefühlsrutschen, auf die man zurücksausen kann in die Vorpubertät. Und ich bin nun mal nicht in Mecklenburg aufgewachsen, sondern in Westfalen.
Softeis-Sozialisierung in Dänemark
Wobei ich wahrscheinlich gar nicht tauge als Vertreter der Softeis-Bundesrepublik. Wurde ich diesbezüglich doch in Dänemark sozialisiert. Dort hatte ich mein erstes maschinell verfülltes Vanilleerlebnis. Das Eis war mit Sahne angerührt und derart lecker, dass ich spätere, hierzulande herausgepresste Weichwürste nach dem ersten Schlecken wegwarf und das Softeis schließlich ganz von meiner Verzehrliste strich. Die Geschmacks-Latte lag also hoch.
Und dann war ich da und stand vor dem heruntergelassenen Rollladen. Die Eisdiele war zu. Das fand ich geradezu unerhört, nach dem ganzen gedanklichen Aufwand, und dass dem Ladenbesitzer die deutsche Eiseinheit derart egal ist.