100 Sekunden Leben - Angriff der Zombie-Rechthaber
Verkleiden wird sie sich am Donnerstag nicht – ansonsten steht Kolumnistin Doris Anselm dem Thema Halloween ganz offen gegenüber. Gruseln kann sie sich allerdings schon Tage vorher: über die alljährlich wieder auferstehenden Debatten-Zombies zum Feiertag.
Es ist wieder so weit: Das große Gruseln steht an. Mir läuft es jetzt schon kalt den Rücken runter, wenn ich an die unheimlichen Fratzen denke. Kurz vor Halloween setzt die Verwandlung ein. Ganz normale Leute sind plötzlich bereit, sich blutrünstig auf jeden zu stürzen, der nicht rechtzeitig merkt … dass Halloween eine rein amerikanische, kommerzielle Erfindung ist, die in Deutschland NICHT gefeiert gehört, hier heißt es Reformationstag und dann Allerheiligen. Huuu! Dann holen sie den Hammer raus und schlagen dir weitere 95 Thesen an den Kopf. Lieblingskostüm der Deutschen: Rechthaber.
Ich schieße dann immer zurück, mit komplett ausgedachten Rechthabereien. Halloween sei in Österreich entstanden, behaupte ich. Als nämlich am 31. Oktober 1874 ein paar amerikanische Touristen beschwipst durch die Hauptstadt Wien zogen und freundlich grüßten: Hello! Haha. Ich selbst brauche mich übrigens nicht mehr zu verkleiden. Als Frau mittleren Alters lasse ich einfach kurz die Mundwinkel fallen – schon fürchtet sich manch Mann vor mir.
Was noch? Ach ja: Als Kind dachte ich immer, es heiße "Aller Eiligen". Heilige gab es in meinem Umfeld nicht so viele, Gestresste dafür massenhaft. So ist das im Spätkapitalismus. Was mich wieder zu Martin Luther bringt. Dessen Thesen fasst Wikipedia so zusammen: "Im Kern bestritt er die herrschende Ansicht, dass eine Erlösung von der Sünde durch einen Ablass in Form einer Geldzahlung möglich sei." Was für ein krasser Angriff auf das damalige Herrschaftssystem! Zum Glück haben wir sowas heute nicht mehr. Also dass uns jemand sagt, wir müssten erstmal Geld einbringen, um ein Recht auf Seelenruhe, Sicherheit und Würde zu haben. Puh! Sowas wäre ja nun wirklich richtig gruselig.