Radfahrer spuckt aus
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100 Sekunden Leben - Ist Spucken eklig?

Unser Kolumnist Thomas Hollmann hat kürzlich etwas von sich gegeben – und eine heftige Reaktion erhalten, die ihn dann doch verwunderte.

Als ich letztens mit dem Rad nach Hause schaukelte, hatte ich einen feuchten Mund. Das kommt ja manchmal vor. Ich habe mir da auch keine großen Gedanken gemacht, sondern das Feuchte auf die Straße gespuckt. Das passierte keineswegs verächtlich, sondern eher so nebenher wie auf dem Fußballplatz. Eine Frau, die mit reichlich Abstand hinter mir herfuhr, fühlte sich offensichtlich dennoch provoziert. Jedenfalls rief sie: "IGITT! DAS IST JA EKELHAFT!"

Diese Einschätzung verwunderte mich. Fallen mir doch gleich mehrere Arten menschlicher Auswürfe ein, die weitaus ekelhafter sind als Spucken. Aber die Frau war mit ihrer Einschätzung nicht allein. Auch ihre beiden Kinder, die wie kleine Entlein hinter ihr herfuhren, schrien: "IGITT!".

Das fand ich fast noch erstaunlicher. Dass zehnjährige Mädchen, vielleicht war das eine sogar erst acht, das Verhalten eines fremden Mannes in Sekundenschnelle be- und verurteilen und die Verfolgungsbehörden einschalten. "Mama, sag‘ dem Mann, dass das ekelhaft ist", rief eine der beiden. Das brauche sie gar nicht tun, antwortete die Enten-Mutter. Der Mann, also ich, habe sie schon verstanden.

Damit hatte die Frau Recht. Ihre Empörung ließ sich trotz der zwanzig Meter Entfernung mit jeder Silbe vernehmen. Und einen Moment überlegte ich, anzuhalten, und der echauffierten Entenfamilie zu erklären, dass zwar öffentliches Urinieren verboten ist, Spucken in der Öffentlichkeit jedoch nicht. Und dass die Chinesen und die Inder, also beinahe die Hälfte der Weltbevölkerung, kein kulturelles Problem mit dem Ausspeien haben, dafür aber mit lautstarken Belehrungen auf der Straße. Der Mutter hätte ich bei der Gelegenheit noch sagen können, dass ich es für pädagogisch bedenklich halte, die eigenen Kinder zu wutbürgerlichen Sittenwächterinnen zu erziehen.

Aber ich hatte es eilig. Erkläre ich das halt beim nächsten Mal.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.