Lächelnde hausfrau mit Kochtopf
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100 Sekunden Leben - Geht "Tradwife" auch alleine?

Die 50er-Jahre-Hausfrau ist zurück: Durch die sozialen Medien geistert in letzter Zeit immer wieder der Ausdruck "Tradwife", kurz für: traditional wife. Kolumnistin Doris Anselm probiert diesen Lebensstil gleich mal aus – muss allerdings ein paar Kleinigkeiten anpassen.

"Honey, I’m home!" schreit mein Freund, aber ich höre ihn nicht. Mein Freund wohnt in Kreuzberg, ich im Wedding. Wenn er nach Hause kommt, erfahre ich das bestenfalls per WhatsApp. Das war die erste Hürde für mein neues Leben als "Tradwife", das heißt: als Frau, die ihren kompletten Daseinszweck destillieren will aus Nestbau, Kekse backen und für den Mann hübsch aussehen. Dass wir auch nicht verheiratet sind, lass ich jetzt mal als Formalie untern Tisch fallen – man muss nachsichtig sein, wenn man was Neues ausprobiert. Oder was Altes. Was von 1950 zum Beispiel.

Auf Social Media gab’s viel Ärger um die Tradwife-Influencerinnen. Diese Heimchen am Herd präsentieren sich oft als Luxusobjekt, das sich bei den heutigen Gehältern nur besserverdienende Männer leisten können. Außerdem überschneidet sich die Tradwife-Fanbase oft mit ultrarechten Kreisen. Aber kann denn Backen Sünde sein?

Okay, mit der Wedding-Kreuzberg-Achse hat’s schonmal nicht funktioniert. Dann mach ich’s mir eben selber. Also: nett. Ich komme nach Hause. "Honey, I’m home!", rufe ich – wie praktisch, dass ich eh grad an der Tür bin. Liebevoll helfe ich mir aus der Jacke. Allerdings dauert es dann doch noch eine halbe Stunde, bis das Abendessen fertig ist. Und warum, verdammt, krieg’ ich es nicht hin, mir ein Bier zu bringen, während ich vorm Fernseher sitze?

Mist, ich hab’ vergessen, mir die Haare zu toupieren! Aber ehrlich gesagt: In letzter Zeit guck’ ich mich eh kaum noch an, wenn ich so spät nach Hause komm. Ich frag‘ mich schon, ob ich was mit der Sekretärin laufen hab. Oh Gott, wenn ich mich von mir scheiden lasse, krieg’ ich gar keine Rente, dann lande ich direkt in der Altersarmut! Und dafür hab ich mir meine besten Jahre geopfert?! Vielleicht ist diese Tradwife-Sache doch nicht so mein Ding.

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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.