100 Sekunden Leben - Gehaltsgruppe: TVÖ-tralala
Das Leben als freie Autorin ist nicht immer einfach. Kolumnistin Doris Anselm wünscht sich deshalb manchmal einen sicheren Nebenjob. Doch die Suche ist voller Absurditäten.
Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet er einmal in meinen romantischen Tagträumen auftauchen würde, als Ritter in schimmernder Rüstung: der öffentliche Dienst. Aber wann immer es schlecht läuft mit meinem freiberuflichen Schreiberinnendasein, oder sich so anfühlt, sehe ich ihn als Fata Morgana vorbeireiten: Den Minijob in einer Berliner Behörde, ein Tag pro Woche, wo ich dann, keine Ahnung, die Papierformulare einscanne, die man bei vielen Ämtern ja immer noch abgeben muss. Und angeblich herrscht Personalmangel.
Aber letztens habe ich mit einer Freundin geredet, die echt bei einer Behörde arbeitet. Die hat gesagt, die könnten mich nicht einstellen für simple Tätigkeiten, weil ich wegen meines Universitätsabschlusses zu hoch eingeordnet werden müsste in der Gehaltsgruppe. Ich weiß nicht, ob das stimmt, und falls SIE das hören, Sie, die in Ihrer Behörde gern einmal pro Woche meine Hilfe hätten, schreiben Sie doch eine Mail an den Hörerservice, und ich verspreche: Ich werde mein Diplom so diskret behandeln wie andere ihren Windelfetisch. Naja.
Die Story klang aber schon typisch Amt. Wenn ich bei Lidl an die Kasse wollte, würden die nicht sagen, oha, dann kriegen Sie ja wegen Ihres Studiums der Kulturwissenschaften mindestens TVÖ-Dingsbumbs tralala.
Vor ein paar Jahren wäre ich mal fast freie Werbetexterin geworden. Aber dann hieß es, dass ich mir die Sprüchlein keinesfalls zuhause ausdenken dürfe. Sondern täglich mindestens drei Stunden in der Agentur auf einem neonfarbenen Sitzsack sitzen und alkoholfreies Craft Beer trinken müsste – das nannten sie "unsere Kultur kennenlernen". –"Nee Danke", sagte ich und reckte arrogant die Nase hoch: "Kulturwissenschaften hab ich schon studiert."