Eine Ausstellungsbesucherin steht vor dem Gemälde "Frau am Fenster" von Caspar David Friedrich.
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100 Sekunden Leben - Caspar gucken

Diese Woche ist ein Fest- und Feiertag für alle Romantiker: Caspar David Friedrich wird am Donnerstag 250 Jahre alt. Das ganze Jubiläumsjahr über finden Ausstellungen zu Ehren des Malers statt. Und selbst unser pragmatischer Kolumnist Thomas Hollmann wird da zum Caspar-Fan.

Das ist mein neues Hobby: Caspar gucken. Dabei bin ich eher praktisch veranlagt. Was aber nicht schlecht ist. Hilft ein gewisses Organisationstalent doch durchaus beim Romantisieren. Denn die Ausstellung in Greifswald dauert nur sieben Wochen. Da muss man es rechtzeitig hinschaffen. Ehe es weiter geht nach Dresden, wo der Kreidefelsen allerdings nicht zu sehen ist.

In Greifswald hat es sich vor dem Felsen doch ordentlich geknubbelt. Beinahe so sehr wie in Berlin, wo man die Kreidezipfel vor lauter Hinterköpfen und Rentnerrücken gar nicht erblickte. Was aber auch irgendwie ins Bild passte. Hat Caspar David Friedrich seine Mönche und Wanderer doch meist von hinten gemalt.

"Frau am Fenster" übersehen

 

Angeblich tat er sich schwer mit Gesichtern. Was dann doch eine besondere Ironie der Kulturgeschichte wäre, wenn wir nur deshalb mit den Mönchen und Wanderern ergriffen in die Ferne und in unsere Innerlichkeit blicken sollten, weil es dem Meister am handwerklichen Geschick mangelte.

Möglicherweise ist die Romantik ja nur ein Vertuschungsversuch, und ich bilde mir meine neue Kunstliebe lediglich ein, weil ich mich an der jubilaren Wichtigkeit des Künstlers berausche. Für diese These spricht, dass ich die "Frau am Fenster" in der Alten Nationalgalerie all die Jahre übersehen habe. Aber jetzt bin ich schon ganz aufgeregt, weil ich die Frau demnächst in Dresden sehe. Wenn ich dorthin fahre - zum Romantisieren und Caspar-Gucken.

Dabei mag ich es eigentlich lieber abstrakt. Aber Cy Twombly wird erst in 124 Jahren 250. Da muss man sich die Wartezeit ja irgendwie vertreiben.

 

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