100 Sekunden Leben - 100 Jahre S-Bahn: Mit Sprengstoff, Streik und Staatsbesuch
Die Berliner S-Bahn wird 100 Jahre alt. Ist sie gebrechlich oder rüstig? Da gehen die Meinungen auseinander. Kolumnistin Doris Anselm mit einer sehr kurzen Festrede.
"100 Jahre S-Bahn!" Komisch, klingt irgendwie nicht nach dem Beginn einer Glückwunsch-Kolumne. Mehr nach total eskalierter Verspätung. Und was ist der S-Bahn nicht schon alles dazwischengekommen in 100 Jahren! Ein Weltkrieg, die Teilung der Stadt, später dann auch wirklich dramatische und unerwartete Ereignisse wie Sommer und Winter. Naja. Boykottaufrufe, Staatsbesuche, Streiks, ein Spielzeugpferd mit Verdacht auf Sprengstoff-Füllung. Dagegen fuhr ein echtes Pony mal völlig problemlos mehrere Stationen lang mit und wurde dafür im Internet berühmt.
Kabeldiebstahl, Brandanschläge, Bauarbeiten… eigentlich gibt es mehr Gründe dafür, dass die Bahn NICHT fährt, als dafür, dass sie fährt. Trotzdem nutze ich heute ehrlich gesagt lieber die S-Bahn als die U-Bahn. Man wird eben älter und kauft weniger Drogen. Außerdem sind die neuen Waggons wirklich geräumig und schön, jetzt im Sommer begeistert mich auch die Klimaanlage – bisher zumindest funktionierte sie auf meinen Fahrten.
Ich freu mich auch schon auf die neue Linie S21 vom Gesundbrunnen zum Hauptbahnhof, die im Dezember eröffnen soll – mit sieben Jahren Verspätung. Naja. Störend finde ich aktuell eigentlich nur das extrem laute Piepsen beim Öffnen und Schließen der Türen. Will die S-Bahn wirklich, dass die blinden Fahrgäste, deren Orientierung das dienen soll, auch noch gehörlos werden? Da ist Verbesserungsspielraum.
Aber ich will nicht zu viel herumkritteln am Geburtstagskind. Lieber noch was Hübsches: Wenn man sich den Netzplan von oben anguckt, also nur den der S-Bahn, dann sieht es doch aus, als ob jemand Berlin umkringelt und angekreuzt hat, wie auf einem Wahlzettel. "Ja bitte, das wollen wir!" Ist doch schön: Die S-Bahn sagt "Ja" zu Berlin. Und Berlin sagt "Naja" zur S-Bahn.