Jubel bei deutschen Fans der Herren-Basketballer.
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100 Sekunden Leben - Emotionaler Verlierer

Wenn am Sonntag die Olympischen Spiele zu Ende gehen, ist Thomas Hollmann heilfroh. Zerrt das Dauersport-Ereignis doch zunehmend an den Nerven unseres Kolumnisten ...

Ich kann nicht mehr. Seit zwei Wochen lebe ich in einem emotionalen Ausnahmezustand. Das macht mich fertig. Dieses ständige Mitfiebern und Zittern und Bangen und Hoffen und Freuen und Weinen. Inzwischen heule ich bei jeder Siegerehrung los, egal welche Hymne gespielt wird. Das ist doch nicht normal.

Ja, im Kino weint man auch. Aber im Dunkeln. Vor allem aber weiß man im Kino, dass nach dem Drama das Happyend kommt. Bei Olympia weiß kein Mensch, wie das alles endet. Ein Wurf, ein Sprung, ein Tritt und aus dem guten wird ein böses Ende. Und der Zuschauer ist diesem Unvorhersehbaren schutzlos ausgeliefert. Ohne, dass ein Ende in Sicht wäre. Denn der Basketball ist noch gar nicht vorbei, da geht’s beim Hockey schon weiter. Und die nächste Gefühlsfahrt ins Ungewisse beginnt.

Nein, gesund kann das nicht sein. Da mögen die Psychologen noch so häufig feststellen, dass der Mensch ein emotionales Herdentier ist, das nachempfindet, was ihm vorempfunden wird. Da hätte die Evolution auch mal nachbessern können. Freut man sich im Zweifel doch mit einem siegreichen Arschloch. Denn die meisten Leute bei Olympia kennt man ja gar nicht.

Und selbst wenn man sie kennt, bleibt diese übersteigerte sportive Anteilnahme bedenklich. Soll man sich doch nicht vom Geschick Anderer abhängig machen. Warnen die Paar-Therapeuten seit langem. Und deshalb muss jetzt Schluss sein mit Olympia. Ich will meine emotionale Autonomie zurückhaben! - Auch auf die Gefahr hin, dass es meinem Leben etwas an Drama fehlen könnte, wenn ich statt Olympia "Bares für Rares" gucke.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.