100 Sekunden Leben - Bitcoins und Gewissensyoga
Ein gefundenes Portemonnaie gibt man zurück – das ist Ehrensache. Was aber, wenn es um einen Geldbeutel voller Bitcoins geht? Kolumnistin Doris Anselm traut ihrer eigenen Ehrlichkeit nur bedingt.
Die Aussage "Typisch Berlin" wird gern als Label auf alles Mögliche gepappt und ist oft Blödsinn. Dafür ist die Stadt zu vielfältig. Jetzt aber bin ich überzeugt, dass ich wirklich die eine Sache gesehen habe, die Berlin komplett zusammenfasst. Oder zumindest Kreuzberg.
Es war ein handgeschriebener Aushang an einem Stromkasten. Da stand auf Englisch: "Hast Du ein Bitcoin-Wallet verloren? Ich habe es auf der Erde gefunden", dann folgte eine E-Mail-Adresse. Der Zettel hing ganz in der Nähe des Görlitzer Parks mit seinen Drogen, seinem Elend und seinen Matchatee trinkenden Yoga-Freaks. Mehr Kontrast, das heißt: mehr Berlin geht nicht.
Ein Bitcoin-Wallet! Ich hatte bisher keine Ahnung, dass man ein digitales Portemonnaie ganz analog verlieren kann. Aber wie ich jetzt lerne, gibt es zum Verstauen von Crypto-Währungen nicht nur Apps, sondern auch Extra-Geräte. Für mich sehen die allerdings aus wie schnöde olle USB-Sticks. Die Finderperson in Kreuzberg war offenbar kompetenter als ich, zum Glück.
Außerdem weiß ich nichtmal, ob ich bei dieser Fundsache hätte ehrlich bleiben können. Bei Bitcoins ist ja einiges anders als bei normalem Geld. Stellen Sie sich mal vor, Sie finden ein Portemonnaie mit 50 Euro. Sie gehen damit nach Hause, und plötzlich sind 50.000 Euro drin! Da macht das Gewissen aber Yoga im Görlitzer Park, also: verrenkt sich ganz schön. Ein paar Tage später ist das Teil vielleicht wieder nur 50 Cent wert. Oje.
Zur Sicherung meines seelischen Gleichgewichts würde mir da nur übrigbleiben, die Bitcoins mit Musik zu überspielen. Ich vermisse nämlich immer noch die kleinen alten MP3-Player-Sticks. Schwupps, ein paar Minuten lang "50 Cent" gehört, und schon hat man in Berlin-Kreuzberg ein Vermögen durchgebracht. Ganz ohne Drogen.