Frauen und Männer sitzen bei einem Yogakurs in Berlin auf Matten (Bild: picture alliance/Eventpress Radke)
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100 Sekunden Leben - Berlin auf der Yogamatte

Seit anderthalb Wochen ist Berlin in den Sommerferien. Und unserem Kolumnisten Thomas Hollmann gefällt es, wie die Stadt seitdem aufatmet - und ausatmet.

Atmen ist total wichtig. Das lernt man in der ersten Yoga-Stunde. Einatmen, ausatmen, ganz langsam und konzentriert. Denn wenn man nur einfach hastig Luft holt, bringt die Katze-Kuh nichts. Deshalb muss man das üben, das richtige Atmen. Und da frage ich mich, wie Berlin das so schnell gelernt hat? Ist Berlin doch eher kein spiritueller Typ, sondern einer, der einem den Einkaufswagen in die Hacken rammelt. Aber seit Ferien sind, ist mein Supermarkt total entspannt. Und in der S-Bahn schwang letztens eine derart friedvolle Stimmung durch den Waggon, dass ich einfach drei Stationen weitergefahren bin. Die musste ich dann zwar wieder zurückfahren. Aber selbst das hatte was von Yoga.

Wobei diese ungewohnte Berliner Relaxtheit möglicherweise auch mathematisch zu erklären ist. Sind doch viele Leute weg. Und da lässt sich bestimmt eine Gleichung aufstellen: x mal weniger Menschen gleich y mehr Lebens-Qualität. Vielleicht sollte man Berlin immer in die Sommerferien schicken und den Urlaubern die Rückflüge streichen. Rechtlich könnte das allerdings schwierig werden, dürften die spanische und die türkische Regierung doch auf eine Rückführung ihrer Berliner bestehen.

Immerhin: Fünf Wochen haben wir noch. Fünf Ferienwochen, in denen Berlin Urlaub macht von sich selbst – und ich von mir. Seit ein paar Tagen nicke ich wildfremden Menschen zu. Von wegen: Du auch hiergeblieben, super, wir verstehen uns, alles klar. Am Ende werde ich noch zum Menschenfreund. Selbst die Autos stören mich kaum noch, weil auch die mehr Platz haben und deshalb weniger von denen in zweiter Reihe parken. Würde mich nicht wundern, sollte der SUV vor unserem Haus demnächst den Sonnengruß machen.

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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.