Zwei Frauen betrachten ein Bild in einer Ausstellung.
picture alliance / NurPhoto | Nikolas Kokovlis
Bild: picture alliance / NurPhoto | Nikolas Kokovlis Download (mp3, 4 MB)

100 Sekunden Leben - Museumssprech

Ein Museumsbesuch kann bilden, unterhalten - oder auch völlig verwirren. Wie unser Kolumnist Hendrik Schröder festgestellt hat.

Neulich war ich im Museum und las neben einem Bild folgenden Text: "Die Künstlerin nutzt ein Sprachbild, das sie in ein Bild aus Öl und Acryl verwandelt, um die Metapher mit neuer Bedeutung aufzuladen. Oder umgekehrt: Ein Gemälde wird metaphorisch belegt beziehugsweise codiert." Was?? Ich las das noch mal: "Ein Gemälde wird metaphorisch belegt beziehungsweise codiert." Ich schaute auf das Bild, schaute auf den Text. Verstand kein Wort.

Suchte den Fehler bei mir. Zu wenig Ahnung von Kunst vermutlich. Dann im nächsten Raum wieder so ein Text: "Trotz des die klischeehaften Vorstellungen des westlichen Kunstkenners belächelnden Blicks entstehen für Lichtenstein außergewöhnlich einfühlsame Hommagen und pseudokontemplative Sinnbilder über die Nichtigkeit des materiellen Seins angesichts universeller Abläufe." Pseudokontemplative Sinnbilder über die Nichtigkeit des materiellen Seins…auf so einen Firlefanz muss man erst mal kommen. Warum machen die das?

Eine gewisse elitäre Haltung?

 

Man steht da in diesen überfüllten Ausstellungsräumen, muss sich eh schon konzentrieren, da was zu lesen und bekommt dann so einen Text vor den Latz? Entweder die Menschen im Kuratorium sind derart betriebsblind und in ihrer Materie versunken, dass sie gar nicht mehr merken, dass die meisten Menschen nicht so über Kunst reden, reden können und sie niemanden adressieren mit solchen Texten außer sich selbst. Oder es steckt eine gewisse elitäre Haltung dahinter? Wie manchmal in wissenschaftlichen Texten, die völlig unnötig kompliziert sind. Motto: Das soll hier gar nicht jeder verstehen.

Fraglich allerdings, ob man in beiden Fällen in seinem Job als Museumstafeltexter so richtig ist. Naja…vielleicht war es ja auch einfach eine wild gewordene KI und wir erleben sowas jetzt öfter? Bei mir jedenfalls hinterlässt das langsam Spuren und ich überlege, meine Konzertkritiken hier im Inforadio künftig auch so zu texten:

Durch die performativ im four on the floor getriebene Dissonanz und einem Volumenhabitus, der eine exorbitante Dezibeltoleranzschwelle als zumindest temporären Ausweg anzubieten scheint, wird besonders in der vokalistischen Arbeit die Dissoziation mit der normierten oder teilnormierten Gesellschaft vom konsumistischen zum postkonsumistischen Motiv überdeutlich.

Auch auf rbb24inforadio.de

100 Sekunden Leben
rbb

100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.